Von Juri Pereversev
Menachem Begin, der siebte israelische Ministerpräsident (1977 - 1983), ist als der erste bedeutende Politiker des jüdischen Staates in die Geschichte eingegangen, der praktische Schritte zum Frieden mit den arabischen Nachbarn unternommen hat. Der Friedensvertrag, basierend auf dem Camp-David-Abkommen von 1978 unter Vermittlung von Jimmy Carter, der am 26. März 1979 von Begin und dem ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat unterschrieben wurde, kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Dennoch war dieser Vertrag ein bedeutender Schritt der israelischen Außenpolitik und verschaffte dem jüdischen Staat eine Atempause im unaufhörlichen Kampf gegen die arabischen Angreifer. Heutzutage steht Israel in jeder Hinsicht stark und stabil seinen Nachbarn gegenüber, sodass die arabischen Staaten es vorziehen, von größeren militärischen Provokationen abzusehen. Damals aber, in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, war die Situation eine andere. Und Menachem Begin war wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
***
Mieczyslaw Biegun – so lautete sein Geburtsname – wurde am 18. August 1913 im polnischen Brest-Litovsk, damals Teil des Russischen Kaiserreichs, geboren. Sein Vater Dov Seev, bei der jüdischen Gemeinde als Sekretär tätig, war einer der ersten bekennenden Zionisten der Stadt und vermittelte diese Ideen auch seinem Sohn.
Mit zehn Jahren trat Menachem der internationalen linken Jugendorganisation HaSchomer-HaZa‘ir, einer Art jüdischer Pfadfinder, bei. Mit 16 schloss er sich dem revisionistischen Flügel der zionistischen Bewegung an und wurde Mitglied der zionistischen Jugendbewegung Bejtar. Begin absolvierte eine jüdische Religionsschule und ein Gymnasium in Brest-Litovsk, und schrieb sich an der juristischen Fakultät der Warschauer Universität ein. 1931 wurde er in den Vorstand der polnischen Bejtar gewählt, zwei Jahre später zum Leiter des Bejtar in Brest. 1936 leitete Begin, inzwischen Magister der Rechtswissenschaften, den Bejtar-Ableger in der Tschechoslowakei und wurde 1938 Bejtar-Chef in Polen. Zugleich war er Mitglied des Zentralkomitees der polnischen revisionistisch-zionistischen Bewegung. Er war immer aktiv und legte großen Wert darauf, die besten Ergebnisse zu erzielen, war dabei allerdings äußerst radikal.
Seine ganze Familie wurde ermordet
Es kam sogar vor, dass er sich dem Anführer der Bewegung und seinem Mentor, Wladimir (Seev) Jabotinsky, widersetzte. (Es war Jabotinsky, der einmal bemerkte: „Dieser Bursche wird weit kommen.“) So war es 1936, als sich im britischen Palästinamandat arabische Unruhen ausbreiteten: Entgegen der Meinung Jabotinskys forderte Begin entschiedene Maßnahmen; auch 1939, nach den von Arabern durchgeführten antijüdischen Pogromen, organisierte er eine Massenkundgebung vor der britischen Botschaft in Warschau, wurde von der polnischen Polizei festgenommen und verbrachte sechs Wochen in Haft.
Als Leiter der polnischen Bejtar fing Begin an, Zellen der paramilitärischen Untergrundorganisation Irgun Tzwai Le‘umi aufzubauen und versuchte, Masseneinwanderung polnischer Juden nach Palästina durchzusetzen. Nach dem Überfall Nazideutschlands auf Polen bot Begin der polnischen Regierung die Aufstellung einer Einheit an, bestehend aus Bejtаr-Mitgliedern; dies wurde abgelehnt. Als die deutschen Truppen einrückten, floh Begin nach Wilna und wurde dort 1940 von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet und als „Agent des britischen Imperialismus“ und als „sozial gefährliches Element“ zu acht Jahren Zwangsarbeit im Lager verurteilt. Ein Jahr darauf kam er aber als polnischer Staatsbürger gemäß dem Sikorski-Mauski-Abkommen frei. Noch nicht wissend, dass alle seine Familienangehörigen von den Nazis ermordet worden waren, schloß sich Begin den in der UdSSR gebildeten polnischen Streitkräften unter dem Kommando von General Anders an und gelang 1942 mit der Anders-Armee nach Palästina.
***
Das Attentat auf Lord Moyne
1943 quittierte Begin den Armeedienst und widmete sich fortan gänzlich dem Kampf für die Entstehung eines jüdischen Staates. Im Dezember wurde er Anführer des Irgun Tzwai Le‘umi und im Januar 1944 rief er zum Widerstand gegen die britische Herrschaft in Eretz Israel auf. Unter der Führung Begins war der Irgun für zahlreiche Angriffe auf britische Militärangehörige und durch die Briten verwaltete Objekte verantwortlich, unter anderem für den Sprengstoffanschlag auf das englische Stabsquartier im King David-Hotel 1946 in Jerusalem. Dies löste eine Repressionswelle der Briten aus. Begin wurde gesucht, und die Belohnung war enorm: Sie betrug 10.000 £. Währenddessen lebte er mit seiner Familie in Tel Aviv; seine falschen Papiere wiesen ihn als Jeschiwa-Schüler aus.
Als am 6. November 1944 Mitglieder der sich vom Irgun abgespalteten radikal-zionistischen Untergrundorganisation Lechi (Lochamej cherut Israel) in Kairo den Mord an dem britischen Kabinettsmitglied Lord Moyne verübten*, verurteilte der Irgun das Attentat. Die Entscheidung der Irgun-Leitung, aus Angst vor möglichen massiven Repressalien der Briten gegen den ganzen Jeschuw, jeglichen bewaffneten Kampf einzustellen, wurde jedoch abgelehnt.
Um das Bild des jüdischen bewaffneten Widerstandes gegen sowohl die britische Herrschaft, als auch gegen die arabischen Angriffe zu vervollständigen, muss man hier noch eine Untergrundorganisation erwähnen – nämlich die Hagana, welche 1920 zum Schutz jüdischer Siedlungen gegründet und ab dem Jahr 1929 von der zionistischen Bewegung angeführt wurde.
Hagana-Kämpfer übergaben Irgun- und Lechi-Kämpfer an die Briten
Wenn während des Krieges die Hagana noch Freiwillige aus dem Jeschuw aufgerufen hatte, in der britischen Armee zu dienen, so begriff sie nach Kriegsende, dass die Engländer nicht vorhatten, Palästina zu verlassen, und so wurde aus einem Verbündeten der Briten ein unerbittlicher politischer Gegner. Dennoch hatte die Hagana damals, 1944, die Entscheidung, den bewaffneten Kampf einzustellen, unterstützt. Mehr noch: Deren Mitglieder nahmen Kämpfer des Irgun und der Lechi fest und übergaben sie an die britischen Behörden. Die Hausdurchsuchungen dauerten fünf Monate an; als Folge wurden 120 Irgun- und Lechi-Kämpfer festgenommen und im Oktober 1944 nach Eritrea deportiert. Darüber hinaus drängten die Engländer alle jüdischen Organisationen, Irgun- und Lechi-Mitglieder auszuliefern.
Der Jeschuw-Vorstand weigerte sich: Es drohte sonst ein Bürgerkrieg. Die jüdischen Einwohner Palästinas waren empört über die Verfolgung der Irgun-Mitglieder durch die Hagana (die sogenannte Operation „Saison“). Eine ganze Reihe von Verhandlungen fand zwischen den Anführern der Hagana und des Irguns statt. Man teilte Begin mit, dass sich der Jeschuw-Vorstand gegen die terroristischen Aktivitäten ausgesprochen habe. Wie bereits erwähnt, lehnte Begin es kategorisch ab, auf Anschläge und Sabotageakte zu verzichten. Im April 1945 wurde die Operation „Saison“ beendet, die Atmosphäre im Jeschuw blieb dennoch angespannt. Auch innerhalb der Hagana gab es Unstimmigkeiten bezüglich einer Zusammenarbeit mit Irgun und Lechi: Während die einen befürchteten, dass diese Organisationen die Hagana auf den Weg des Terrors zwingen würden, meinten die anderen, dass nur großangelegte gemeinsame Aktionen die Sympathie der Weltöffentlichkeit hervorrufen könnten.
Für die Kooperation sprach sich Ben-Gurion aus, und so entstand 1945 die Bewegung des jüdischen Widerstandes. Um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, schloß sich Begin der Bewegung an; Lechi lehnte erst ab, willigte später jedoch ein. Es folgten gemeinsame Militäroperationen, bei denen der Irgun an der Spitze stand. Diese Operationen hatten im Wesentlichen die Entscheidung der Briten, sich aus Eretz Israel zurückzuziehen, beeinflusst.
Fast kam es zum inner-jüdischen Bürgerkrieg Nachdem der Staat Israel 1948 ausgerufen wurde, löste Begin den Irgun auf. Es gelang ihm, mit der Übergangsregierung des jüdischen Staates eine Abmachung darüber zu treffen, dass die Irgun-Einheiten, insgesamt etwa 10.000 Kämpfer, in die neuen, gerade entstehenden israelischen Streitkräfte aufgenommen werden würden. Offiziell war Jerusalem zu diesem Zeitpunkt kein Teil des jüdischen Staates und nach Begins Auffassung galt diese Abmachung nicht für Jerusalem. Dementsprechend agierte der Irgun in der Stadt weiterhin eigenständig. Als am 20. Juni 1948 das Schiff Altalena mit Waffen an Bord im Hafen von Tel Aviv angekommen war, hatte Begin vor, vier Fünftel der Waffenlieferung an die neugeschaffene israelische Armee zu übergeben und sich, also den in Jerusalem kämpfenden Irgun-Gruppen, nur das Nötigste zu lassen. Die israelische Regierung jedoch forderte von Begin die komplette Waffenübergabe. Begin lehnte ab; daraufhin ließ Ben-Gurion das Schiff, teilweise noch mit Waffen an Bord, zerstören. Diese Aktion hätte einen Bürgerkrieg entfachen können; um das zu verhindern, hielt Begin im Radio eine Rede und rief seine Mitstreiter auf, „den Krieg um jeden Preis abzuwenden“.
Nach der Altalena-Tragödie sah Begin, dass es kaum möglich war, als Anführer einer revisionistischen Bewegung den zionistischen Sozialisten, welche den Regierungskern darstellten, auf einer politischen Ebene entgegenzutreten. Im Oktober 1948 gründete er die Cherut-Partei („Freiheit“) und wurde infolge der ersten israelischen Wahlen am 25. Januar 1949 als ihr Vorsitzender in die Knesset gewählt. Seine Partei erwarb 11,5 % der Stimmen, und nach diesem Erfolg stand Begin als anerkannter Anführer der ganzen revisionistischen Bewegung da.
Gegen eine Annäherung an Deutschland
Als ideologische Basis diente der Cherut-Partei das revisionistische Konzept Jabotinskys – das Prinzip „Chad Ness“ (eine einzige Fahne). In der Praxis bedeutete das: Ein einheitliches nationales Ziel (im Gegensatz zum zweiheitlichen Charakter der zionistisch-sozialistischen Bewegung); absolute Priorität der Staats- wie Nationalinteressen den Klasseninteressen gegenüber; ein rechtsliberales Wirtschaftsprogramm, d.h. Entwicklung einer liberalen Gesellschaft bei minimaler Einmischung des Staates sowohl in die Wirtschaftsprozesse als auch in das gesellschaftliche Leben; Erweiterung der Souveränität des Staates auf das gesamte Territorium von Eretz Israel; Aufnahme der Beziehungen zu den benachbarten arabischen Staaten, allerdings aus einer Position der Stärke heraus.
Begin sprach sich außerdem entschieden dagegen aus, bilaterale Beziehungen zu West-Deutschland zu pflegen.
Als Ben-Gurion am 7. Januar 1951 in der Knesset die Frage der deutschen Reparationszahlungen zur Diskussion gestellt hatte, stand Begin, gemäß seinen Prinzipien, keinerlei Kontakte zur BRD zu haben, an der Spitze der massenhaften Proteste. Die Demonstranten versuchten, ins Knesset-Gebäude einzudringen, die Polizei setzte Tränengas ein, es flogen Steine, die Fensterscheiben im Gebäude wurden zerschlagen. Daraufhin durfte Begin drei Monate lang an keiner Knessetsitzung mehr teilnehmen, seine Partei gewann aber an Popularität und machte den durch Ben-Gurion verhängten Boykott der Cherut-Partei zunichte.
***
1965, kurz vor den sechsten Knesset-Wahlen, gelang es Begin, aus der Cherut und der Liberalen Partei einen Block namens „Gahal“ zu bilden. Später, als 1973 die Wahlen bevorstanden, schlossen sich auf Initiative von Ariel Scharon einige oppositionelle Fraktionen dem Gahal an; so entstand der Likud-Block. Und damals, 1967, im Jahr des Sechstage-Krieges, schlug Begin die Bildung einer nationalen Einheitsregierung vor, in der er selbst Staatsrat wurde. Am 5. Juni – dem Tag des Kriegsbeginns – forderte Begin von der Regierung, der IDF die Befreiung der von Jordanien okkupierten Jerusalemer Altstadt aufzutragen. Zeitgleich beteiligte sich Begin an der Vorbereitung der Gesetzgebungsakten zur Vereinigung und Erweiterung Jerusalems und brachte damit die Entscheidung der Regierung auf den Weg, welche der israelischen Armee erlaubte, im Falle eines fehlenden Friedensvertrages mit der arabischen Seite innerhalb der Waffenstillstandslinien zu verbleiben.
Begins Partei wird immer populärer
1969, bei den siebten Knesset-Wahlen, bekam Begins Gahal 21,7 % der Stimmen und 26 Sitze; den Block repräsentierten im Koalitionskabinett sechs Minister, darunter auch Begin. Er trat aber bereits im April 1970 zurück, weil die Regierung unter Golda Meir sich bereit erklärt hatte, Friedensgespräche mit Arabern auf der Basis der UNO-Resolution Nr. 242 aufzunehmen, was für Israel einen Kompromiss in den Territorialfragen bedeuten würde, insbesondere Judäa und Samaria betreffend, welche im Laufe des Sechstagekrieges eingenommen wurden.
Im August 1970 zog sich Gahal aus der Koalition zurück – zu viele Differenzen gab es in der Frage, ob man den Vorschlag der USA, die Truppen von den Golanhöhen und von der Sinai-Halbinsel teilweise abzuziehen, unterstützen sollte.
Begin spielte eine erhebliche Rolle bei der Erarbeitung einer gemeinsamen ideologischen Basis des neuen Blocks Likud. Das Programm beinhaltete anschließend folgende Punkte:
- Israel verfügt über das moralische sowie historische Recht auf das ganze Territorium des Eretz Israel;
- die loyale arabische Bevölkerung muss, unter Beibehaltung ihrer nationalen und kulturellen Traditionen, in alle Sphären des öffentlichen Lebens des Staates Israel integriert werden;
- der arabischen Bevölkerung in Judäa, Samaria und Gaza – den seit 1967 unter israelischer Kontrolle stehenden Gebieten – muss das Recht eingeräumt werden, frei zu wählen, die israelische Staatsbürgerschaft anzunehmen oder die Staatsbürgerschaft des jeweiligen arabischen Landes beizubehalten;
- im Bildungswesen müssen deutliche Akzente auf den jüdischen Charakter Israels gesetzt werden; die Verbindung mit dem nationalen Erbe des jüdischen Volkes muss deutlich unterstrichen und die Beziehungen zu den Juden in der Diaspora müssen gestärkt werden;
- es müssen unverzüglich Schritte unternommen werden mit dem Ziel, die Ungleichheit zwischen den verschiedenen Gruppen der jüdischen Bevölkerung, zu beseitigen; in ersten Linie zur Verbesserung der Lebensqualität, insbesondere des sozialen, des wirtschaftlichen und des Bildungsstatus von Immigranten aus den orientalischen Ländern.
Erster „rechter“ Regierungschef Israels
Die Umsetzung dieses Programms konnte in den nachfolgenden Jahren begonnen werden, nachdem Likud bei den Wahlen 1977 und 1981 die meisten Stimmen bekommen hatte – jeweils 43 und 48 Mandate. Als Likuds Anführer leitete Begin die Koalitionsregierung. Diese Regierung war die erste, bei der die israelische Arbeiterpartei MAPAM, die sozialistische Prinzipien repräsentierte, nicht an der Spitze stand.
Begins Gegner wurden nicht müde, in der israelischen Öffentlichkeit die Meinung zu verbreiten, dass die „rechte“ Partei an der Macht nicht nur jegliche Chancen auf ein Friedensabkommen mit den Arabern zerstören, sondern auch zu einem neuen Krieg führen würde. Viele vertraten sogar die Meinung, dass Begin in seiner Funktion eine Gefahr für die Demokratie darstelle. Likuds Sieg stellte den Anfang tiefgreifender Veränderungen dar. Den Großteil der Likud-Wählerschaft bildeten die sozialen und politischen Gruppen, welche sich bis dahin an der Peripherie der israelischen Gesellschaft befanden. Diese Veränderungen hatten viele als eine Zerstörung der Ideale des „alten Israels“ empfunden und als eine Machtübergabe in die Hände derer, die als sozial fremdes Element wahrgenommen worden waren.
Eine entscheidende Rolle bei Likuds Sieg spielten die Angehörigen der orientalischen Gemeinden – sie sahen in Begin einen wahren Repräsentanten des Volkes mit dem tiefen Verständnis für ihre existentiellen Nöte. Auch die hohe persönliche Popularität Begins verhalf dem Likud zum Wahlsieg. (…)
Übersetzung aus dem Russischen von Irina Korotkina
Komplett zu lesen in der Druck- oder Onlineausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier für 39 Euro im Papierform abonnieren oder hier ein Onlinezugang zu den 12 Ausgaben für 33 Euro kaufen.
Sie können auch diesen Artikel komplett lesen, wenn Sie die aktuelle Ausgabe der "Jüdischen Rundschau" hier online mit der Lieferung direkt an Sie per Post bestellen oder jetzt online für 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk kaufen.