Gedanken zu Channuka  

Dezember 4, 2015 – 22 Kislev 5776
Die verborgene Kraft des Judentums

Von Chaya Tal

Acht Tage dauert das Fest Chanukka, welches an den Sieg jüdischer Aufständischer gegen die griechische Besatzung im 2. Jahrhundert vor der Zeitrechnung, die Wiederherstellung der jüdischen Unabhängigkeit und das Aufhalten des geistigen Verschwindens der jüdischen Kultur erinnert.

Wie sehen wir aber persönlich in der heutigen Zeit das Chanukka-Fest, im Kontext der heutigen Moderne und ihrer Weltanschauungen? Welches Gewicht messen wir ihm bei, in welchem Licht sehen wir eben dieses Lichterfest? Ist es ein Kinderfest mit Kerzenschein und Fröhlichsein, Gebäck und Liedern à la europäische Weihnachtszeit? Ein weiterer Gedenktag in der Serie der Gedenk- und Feiertage der jüdischen Geschichte, nach dem Prinzip „Bedroht-Gerettet-Lasst-uns-feiern“? Ein Bindeglied zwischen Juden der ganzen Welt in den letzten 2.300 Jahren?

Ich möchte versuchen den bunten Vorhang dieses meistgefeierten jüdischen Feiertags etwas beiseite zu schieben, um die weniger bekannten Aspekte zu finden, auf die Chanukka und die jüdischen Gelehrten hinweisen möchten.

Dafür möchte ich etwas genauer auf den Hintergrund der verschiedenen Ideologien eingehen, welche zur besagten Zeit im Heiligen Land die Gemüter aufrührten und zu einem offenbar unvermeidlichen Zusammenstoß führten – jene Ideologie der griechisch-seleukidischen Eroberer von Judäa und die der hasmonäischen Aufständischen.

Die Griechen herrschten etwa 160 Jahre lang über die Juden im Land Israel als Teil des griechischen Imperiums – angefangen bei Alexander dem Großen bis zu König Antiochus Epiphanes. Auf die Herrschaft Alexander des Großen, der in die jüdische Tradition als positive Figur einging und dessen Name gar als legitimer Name für jüdische Jungen in unsere Tradition aufgenommen wurde, folgte die Herrschaft der Ptolemäer, griechisch beeinflusster (hellenistischer) Herrscher aus Ägypten. Deren Ära gilt ebenso als ein sehr „bequemes“ Mandat, und es ist nichts von Unterdrückung der unter ihrer Herrschaft stehenden Juden bekannt. Im Gegenteil sogar: Das Judentum und jüdisches Gedankengut wurde die meiste Zeit von den Griechen hochgeschätzt, jüdische theologische Abhandlungen wurden neben die wichtigsten Philosophen der Griechen gestellt; Sokrates und Aristoteles waren in regem Kontakt mit jüdischen Gelehrten. Es ist überliefert, dass Aristoteles, der Berater und Lehrer Alexanders des Großen, die Juden gar als „Volk der Philosophen“ betitelte – aus dem Munde eines griechischen Philosophen ist dies eindeutig als Ausdruck der Anerkennung zu verstehen.

Aufgrund des Respekts und der Hochachtung vor dem geistigen Gedankengut wurde durch die hellenistischen Herrscher gar die Übersetzung der Thora in Auftrag gegeben. Dazu muss man wissen, dass die Übersetzung von 70 jüdischen, des Griechischen kundigen Gelehrten durchgeführt wurde (daher auch „Septuaginta“). Dies wurde von den Griechen und den Hellenisten – damit sind Juden und Nichtjuden, welche der griechischen Kultur anhingen, gemeint – regelrecht gefeiert. In der jüdischen traditionellen Gemeinschaft jedoch wurde an diesem Tag ein Fastentag angesetzt (10. Tevet), als Trauer über die Profanisierung, sprich Entheiligung, Alltäglich-Machung der Heiligen Schrift.

Die Praxis allerdings, die Gebote der Thora, insbesondere solche, welche Gott als Herrn über die Menschen stellen und die Ausführung Seines Willens unterstreichen sollten, stellten eine Provokation für die griechische Ideologie dar. Denn diese besagte eindeutig, dass der Mensch und sein hoher Geist allein über seine Taten und Ziele zu entscheiden habe, und keinesfalls ein Gott, der Heiligkeit verlangt, Absonderung auferlegt, Gesetze vorgibt und verlangt, dass Sein Plan für diese Welt ausgeführt werden soll.

Dies implizieren Gebote wie die Beschneidung und der Schabbat als Symbole für einen beidseitig geschlossenen Bund zwischen Mensch und Gott, und die Neumondsfeier als Zeichen einer Gottgebenen Zeiteinteilung. Diese Gebore wurden jedoch erst vom seleukidischen Verwalter Antiochus Epiphanes verboten, und nicht schon zu Beginn der auf die ptolemäische folgende Selevkiden-Herrschaft (welche übrigens vielmehr hellenistische Syrer als Griechen waren). Ebenso wurde dann auch der Tempel absichtlich entweiht – Heiligkeit sollte nicht mehr allgegenwärtig sein.

Heiligkeit – „Kodesh“ – bedeutet auch Absonderung, Unterschied, Entfernung. Wieso sollte sich in einer entsprechend der aristotelischen Vorstellung ewigen, vom menschlichen Verstand geleiteten Welt irgendetwas entfernen, absondern, anderen keinen Zugang bieten, so wie die für Nichtjuden oder Nichtpriester verbotenen Bereiche im Tempel, welche die griechische Armee sofort beim Eindringen entweihte?

Der Aufstand der Makkabäer gegen die Fremdherrschaft und die religiöse Unterdrückung wurde nicht umsonst von der Familie des Hohepriesters, Mattityahu des Hasmonäers, angeführt , die von Rechts wegen eigentlich keine Kriege führen kann und darf:
Die jüdische Weltanschauung, die in ihrem Zentrum die Verbindung zwischen dem Heiligen und dem Weltlichen, Menschlichen sieht, wurde bei diesem ideologischen Aufeinandertreffen in ihrer Existenz bedroht, und somit die Aufgabe des jüdischen Volkes in ihrer Essenz. Nicht die physische Verfassung war hier bedroht – niemand hatte vor, die Juden von der Erde zu tilgen. Aber das jüdische Geistesgut und seine Verwirklichung sollte nicht mehr in seiner eigentlichen Form in der Welt vorkommen.

Der Aufstand und der endgültige Sieg über die Hellenisten, etwa 25 Jahre nach seinem Ausbruch, brachte lediglich etwas mehr als 200 Jahre politischer Unabhängigkeit, welche auch nicht immer sehr positiv für die Juden selbst verlief. Die neue souveräne Herrschaft der Priester wurde über die Jahre hinweg von inneren Intrigen und Fehlverhalten zersetzt. Doch durch die Verfestigung der Chanukka-Tage als Feiertage für sämtliche jüdische Generationen wurde auch ein deutliches Zeichen gegen geistige Assimilation in fremde Weltanschauungen gesetzt.

Das Wunder des Öls, dessen heilige Reste von den Angreifern nicht gefunden und unangetastet geblieben sind und so für eine Wiedereinführung des Dienstes im Tempel sorgten, sollte vor allem die Kraft des Judentums als Lebensweise, Weltanschauung und Mission symbolisieren. Diese Kraft sei die Fähigkeit der Wiedererstehung des Judentums auch unter überlebensfeindlichen Bedingungen – unter der Bedrohung geistiger Assimilation oder auch physischer Existenzgefahr.

So ging das Kerzenzünden in die jüdische Geschichte als ein Symbol von Widerstandskraft ein – das kaum nachvollziehbare, verborgene Licht, aus welchem immer wieder von Neuem eine Flamme entfacht werden kann. Eine Vorstellung, die bis in die heutigen Tage nicht an Relevanz verliert.

(Ideen und Interpretation nach Rabb. Eliezer Shargorodsky und Rabbiner A. Y. Kuk im Aufsatz „Das Fläschchen Öl“.)

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