1978 entdeckten der israelische und der ägyptische Botschafter in Deutschland eine überraschende Gemeinsamkeit.  

August 5, 2016 – 1 Av 5776
Die Überraschung von Remagen

Von Gerhard Haase-Hindenberg

Nie wieder werde ich in Kairo von der Nilinsel Roda über die El Gama’a-Brücke nach Giza hinüberfahren ohne an den Tag mit Omar Sirry und seine Märklin-Eisenbahn zu denken.

Es war eine dieser unvermuteten Begegnungen, welche die Sicht des Reiseschriftstellers auf bekannt geglaubte Phänomene schärfen. Fortan gelten meine Gedanken beim Blick hinauf zum obersten Stockwerk eines der Hochhäuser am anderen Nilufer jenem Mann, der einen bescheidenen Anteil daran hat, dass dort die Flagge mit dem Davidsstern weht. Ein sichtbarer Hinweis auf die diplomatische Vertretung Israels.

Solches habe ich nicht geahnt, als ich den alten Herrn auf dem Friedhof Imam al-Shafi vor den Toren der Stadt kennenlernte. Damals, als mir die junge Ägypterin Mona – „Das Mädchen aus der Totenstadt“ (so der spätere Buchtitel) – von ihrer Kindheit auf einem Grabhof erzählte. Omar Sirry besuchte dort draußen die letzte Ruhestätte seiner Schwester und als wir ins Gespräch kamen, wechselte er plötzlich in akzentfreies Deutsch. Er sei „im siebten Jahr nach dem ersten großen Krieg“ als Sohn des ägyptischen Botschafters in Berlin geboren. Und weil er, der türkischen Vorfahren wegen, nicht arabisch ausgesehen habe, sei er als „ganz normaler Berliner Junge“ aufgewachsen. Die germanophil eingestellten Eltern hatten ausschließlich Deutsch mit den Kindern gesprochen und Röschen, das Kindermädchen aus dem Sudetenland, sowieso.

In Prag und Athen, den nächsten Missionen des Vaters, besuchte Omar die deutschen Schulen und als der Sechzehnjährige wegen des Krieges in Europa nach Kairo („In die Heimat meiner Eltern…“) kam, sprach er kein Wort Arabisch. Dreieinhalb Jahrzehnte später wird Omar Sirry ägyptischer Botschafter in Bonn. Mehr habe ich nicht erfahren an jenem Nachmittag in Imam al-Shafi. Sieht man davon ab, dass mir der alte Herr seine Liebe zur Eisenbahn gestand, von einer Märklin-Anlage mit Nachbildungen deutscher Landschaften in seinem Wohnhaus drüben im Stadtbezirk El Maadi sprach und vorschlug: „Sie können mich ja mal besuchen!“

Ein Jahr später fahre ich in den schönen Teil von El Maadi, wo man in Stadtvillen mit gepflegten Gärten wohnt. Die Polizeipräsenz in der kleinen Nebenstraße gilt einer Synagoge. Auch wenn es darin kaum noch Gläubige gibt, seit Präsident Nasser den jüdischen Teil seines Volkes aus dem Land jagte. Das jüdische Gotteshaus in unmittelbarer Nachbarschaft des Ex-Diplomaten wirkt geradezu symbolhaft. Das aber kommt mir erst in den Sinn, als ich Stunden später Omar Sirrys Wohnhaus wieder verlasse. Zuvor erzählt er mir erstaunliche Dinge, während die Märklin-Eisenbahn auf einem riesigen Areal durch oberbayerische Dörfer, die Rheinebene und den Hauptbahnhof von Bonn fährt. Er erzählt zum Beispiel wie er am 23. Oktober 1973 (zur Erinnerung: seit dem 6. Oktober standen Ägypten und Syrien mit Israel im Krieg) auf der Straße von Kairo nach Suez dem israelischen Generalmajor Aharon Yarif begegnete. Tags zuvor hatten der UN-Sicherheitsrat die kriegführenden Länder aufgefordert Waffenstillstands-Verhandlungen zu beginnen und die beiden Großmächte ihre jeweiligen Verbündeten, diese Resolution ernstzunehmen.

Nun also saßen der langjährige Chef des israelischen Militärgeheimdienstes und der ägyptische General Abdel Ghany El Gamassi einander in einem Zelt gegenüber und suchten nach Wegen aus der verfahrenen Situation. Militärisch korrekt und ausgesprochen höflich seien die Offiziere miteinander umgegangen, erinnert sich Omar Sirry. Misstrauisch hingegen wäre er beäugt worden, der Mann im Hintergrund, der nicht arabisch aussah und kaum ein Wort sprach. Es sei ihm nicht erlaubt gewesen sich als ziviler Beobachter des ägyptischen Außenministeriums zu erkennen zu geben. Verhandlungspausen hätte es fast im Viertelstundentakt gegeben, weil Mosche Dajan sich von seinem Generalstabschef telefonisch über den Fortgang unterrichten ließ.

Während einer solchen Unterbrechung hatte einer der Israelis ihm, dem hellhäutigen Zivilisten, unterstellt, ein sowjetischer Kommissar zu sein. Omar Sirrys aufgebrachte Reaktion ließ den gegnerischen Gesprächspartner schnell erschrocken einlenken: „Sieh mal, wir hatten noch den 67er Krieg vor Augen. Unsere Dienste haben uns nicht darüber informiert, dass eure Armee inzwischen eine solche Stärke erreicht hat. Du darfst mir glauben, die israelische Armee will nie wieder gegen euch Krieg führen.“ Das sei der Moment gewesen, an den er später immer wieder habe zurückdenken müssen, wenn er – oft gegen innenpolitische Widerstände – die Friedenspolitik seines Präsidenten unterstützte. Selbst dann als Außenminister Ismail Fahmy, immerhin sein unmittelbarer Vorgesetzter, vom Amt zurücktrat, weil Sadat ein Flugzeug nach Jerusalem bestieg. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg.

In der Nacht zum 24. Oktober 1973 wurde Omar Sirry von den Verhandlungen in der Wüste abgezogen und in den Präsidentenpalast nach Kairo beordert. Man hatte ihm nicht einmal Zeit gelassen, sich zu rasieren. Sadat hatte in den Stunden zuvor den Kontakt zu den USA gesucht, mit denen es seit 1967 keine diplomatischen Beziehungen mehr gab. Als er Henry Kissinger ans Telefon bekam, erfuhr er, dass Golda Meir in Washington sei. Der ägyptische Präsident beschloss, seinen Außenminister und Omar Sirry umgehend auch dorthin zu schicken. Zuvor diktierte er ihnen „in großer Ruhe“ sechs Punkte eines Friedensplans. Am Nachmittag brachte eine Sondermaschine die kleine ägyptische Delegation nach Paris, von wo aus sie per Linienflug den Weg in die USA antrat. Omar Sirry sagt: „Das große Abenteuer begann!“ (…)

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