Die Neue Jüdische Kammerphilharmonie in Dresden spielt vergessene jüdische Komponisten 

Juli 3, 2014 – 5 Tammuz 5774
Die Musik nach Hause bringen

Die Gründung der Neuen Jüdischen Kammerphilharmonie
(NJK) in Dresden im Jahr 2007
ist untrennbar mit dem Namen Michael Hurshell
verbunden. Der amerikanische Dirigent,
Pädagoge und Musikwissenschaftler studierte
in seiner Heimat Klavier und Komposition, ehe
er 1982 in Wien ein Dirigentenstudium aufnahm.
Seit 2002 lebt und arbeitet er in Dresden,
wo er an der Hochschule für Musik «Carl Maria
von Weber» Dirigieren lehrt. Zudem hält
er regelmäßig an der Technischen Universität
Dresden Seminare, zum Beispiel «Emigranten
im Klangrausch» – ein Kurs, der sich mit
der Musik emigrierter jüdischer Komponisten
in den USA beschäftigt. 2004 erhielt Hurshell
eine Einladung als Dirigent zum damaligen
Musikfestival «Dreiklang» in die Lausitz.
«Gewünscht wurde ein „leichtes Programm“.
Dennoch sollte es etwas Besonderes sein»,
erinnert sich Michael Hurshell. Mit der Slowakischen
Staatsphilharmonie aus Bratislava
spielte er Filmmusik unter anderem von Franz
Waxman, einem Dresdner, sowie von Miklos
Rózsa, der in Leipzig studierte. «Im Gespräch
mit dem Publikum merkte ich, dass sowohl diese
Filmmusik als auch die Komponisten hierzulande
unbekannt waren, obwohl viele der geflohenen
Komponisten doch aus dieser Region
stammten», so der Musikwissenschaftler.

23-köpfiges Streichorchester
Diese Erfahrung war der entscheidende Impuls
dafür, die Neue Jüdische Kammerphilharmonie,
ein 23-köpfiges Streichorchester, zu
gründen. Zurzeit kann Michael Hurshell auf
einen Pool von 45 Mitgliedern zurückgreifen,
alles Berufsmusiker, die neben ihrer Arbeit
in anderen Ensembles auch regelmäßig
in der Neuen Jüdischen Kammerphilharmonie
mitwirken. Etwa zehn bis zwölf Konzerte
bestreitet das Orchester pro Jahr. Alljährliche
Gedenkkonzerte anlässlich der Pogromnacht
am 9. November 1938 gibt das Ensemble
regelmäßig in Dresden, führte es aber auch
schon nach Leipzig und Berlin. Neben ihren
regulären Synagogenkonzerten in Dresden
spielte die Neue Jüdische Kammerphilharmonie
bereits mehrmals zu Eröffnungen von
Ärztekongressen. Ein besonderes Konzert
gestaltete die NJK im vergangenen Jahr in
Graupa zur Eröffnung der neuen Richard-
Wagner-Ausstellung. Das Programm stellte
Wagners Werken Kompositionen jüdischer
Komponisten gegenüber, wie Felix Mendelssohn
und Franz Schreker. Die neue Dauerausstellung
zu Richard Wagner erarbeitete
Michael Hurshell selbst als Kurator von
2009 bis 2013. «Ich bin mit Wagners Musik
aufgewachsen und von ihr fasziniert. Mein
Vater hat als Heldenbariton viel Wagner gesungen
», erläutert Micheal Hurshell, selbst
Jude, sein Interesse an der Musik Richard
Wagners. «Trotz Wagners Antisemitismus
waren die meisten vertriebenen jüdischen
Komponisten und Dirigenten glühende Wagnerianer
», betont er. Klangbeispiele davon
sind ebenfalls in der Ausstellung zu erleben.
Neben Dresden, Leipzig und Berlin gastierte
die Neue Jüdische Kammerphilharmonie bereits
in Straßburg und Breslau. Die Begeisterung
des Publikums ist überall groß.

Unterschiedliche Reaktionen
Dennoch sind die Reaktionen und Gedanken
je nach Alter unterschiedlich, so die Erfahrung
des Dirigenten. Nach einem Auftritt in der Weißen-
Storch-Synagoge in Breslau erlebte er auch
emotionale Momente. Sehr betagte Zuhörer
erzählten ihm, dass sie sich noch selbst an diese
Komponisten erinnern. «Das wir das noch
erleben, dass diese Musik wieder aufersteht»,
sagten sie ihm dankbar und unter Tränen. Jüngere
Besucher erfreuten sich an der kommunikativen
und ausdrucksvollen Musik und waren
ebenso sehr dankbar, dass diese Musik wieder
gespielt wird. «Mein Wunsch ist es, möglichst
viele verfemte Komponisten zur Aufführung zu
bringen. Dazu zählen neben den nach Amerika
ins Exil gegangene Komponisten auch die unter
dem Nazi-Regime ermordeten Musiker, nicht
zu vergessen die Theresienstädter Komponisten,
aber auch diejenigen, die nach England,
Russland oder Israel auswanderten», erklärt
Hurshell.

Von Claudia TRACHE

Weiteres zur NJK:
www.juedische-philharmonie-dresden.de

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