Einmal nach Israel fahren – davon haben meine Mutter und ich lange geträumt. Letzten Winter haben wir unseren Traum wahrgemacht und sind mit dem Reiseveranstalter Studiosus in eine 8-tägige Israel-Rundreise gestartet. Schon vor Antritt der Reise habe ich mich gefragt, ob wir es auf einer Israel-Rundreise mit einer deutschen Reisegruppe, die von einem deutschen Reiseveranstalter organisiert wird, mit Israelfeindlichkeit zu tun bekommen würden. Schließlich sind Antisemitismus und Israelfeindlichkeit unter Deutschen nicht selten.
Aus Zeitgründen haben wir uns für eine kurze Reise entschieden, die den Besuch vor allem christlicher historischer Stätten vorsah. Das mag eine gewisse Vorauswahl der anderen Reiseteilnehmer bedingt haben, bei denen es einen deutlichen evangelischen Überhang gab. Neben einem deutschen Pastor mit Familie lernten wir einen international tätigen Entwicklungshelfer, eine ganze Reihe von Pädagogen sowie Ingenieure und Vertreter anderer hochsolider Berufsgruppen kennen.
Besuch bei einer israel-feindlichen Pfarrerin
Die Frage, wie viel Israelfeindlichkeit uns auf einer deutschen Studienreise nach Israel begegnen würde, wurde in aller Deutlichkeit aber erst am Ende der Reise beantwortet. Nämlich in Jerusalem, unserer letzten Station vor dem Rückflug. Die Reiseleitung hatte eine Begegnung mit einer deutschen evangelischen Pfarrerin organisiert, die seit September 2015 Inhaberin der zweiten Pfarrstelle an der Jerusalemer Erlöserkirche ist und außerdem das Evangelische Pilger- und Begegnungszentrum der Kaiserin-Auguste-Victoria-Stiftung mit der Himmelfahrtkirche auf dem Ölberg leitet. Warum wir die Pfarrerin bei einem kurzen Aufenthalt in Jerusalem überhaupt besucht haben? Wahrscheinlich, weil es für die anderen Reiseteilnehmer moralisch nicht zu verkraften gewesen wäre, Israel zu besuchen, so ganz ohne die aus der Heimat gewohnte Israel-Kritik serviert zu bekommen.
Als sie zu Beginn ihres Vortrags erklärte, wie differenziert und wertneutral sie der israelischen Politik gegenüberstehe, hätten bei mir schon die Alarmglocken schrillen müssen. Tatsächlich sang die Pfarrerin dann das alte Lied vom enteigneten Land und vom schrecklichen Siedlungsbau, von ihren wunderbaren Begegnungen mit „Palästinensern“ und von deren verletzten Rechten. Der Bau von Schutzzäunen gegen „palästinensische“ Terrorangriffe sei illegal, erklärte sie uns, weil der Verlauf nicht mit der grünen Linie übereinstimme. Man müsse Israels Haltung hier scharf kritisieren.
Wieder zu Hause, fand ich in einer kurzen Recherche heraus, dass diese Pfarrerin ein Leben lang ein ganz besonderes Verhältnis zu Israel gehabt hat. Sie hat ihre Studienzeit teilweise in Israel verbracht und ist mit einem Experten für Judaistik verheiratet. Als Vorsitzende des „Evangelischen Arbeitskreises für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau“ hielt sie vor etlichen Jahren gar eine Rede gegen den Antisemitismus. Dabei sprach sie – ich konnte es kaum glauben - explizit das Thema Selbstreflexion in Bezug auf Israelkritik an: „Deshalb halte ich es für dringend geboten, dass wir uns, wenn wir uns mit dem Nahostkonflikt beschäftigen, zunächst Rechenschaft über unsere eigenen Motive ablegen: Was ist mein Zugang und meine Motivation, mich mit diesem Konflikt zu beschäftigen? Wo in meiner Biographie ist der Ansatzpunkt für die Beschäftigung mit diesem Konflikt? Was treibt mich an?“
Wer ihr unreflektiertes Kurzreferat bei unserem Besuch in Jerusalem gehört hat, konnte unsere Pfarrerin in dieser Rede nicht wiedererkennen. In Jerusalem hat die Pfarrerin klargemacht, dass ihre Biografie, ihr langer Aufenthalt in Israel und auch ihre vorgeschobene Selbstreflexion sie nicht davor schützt, die deutsche Israel-Feindlichkeit wie eine Musterschülerin zu übernehmen.
Nur ein weiterer Israel-Freund in der Reisegruppe
Außer meiner Mutter und mir verzog nur ein weiterer Teilnehmer aus der Reisegruppe sein Gesicht beim Vortrag der Pfarrerin. Und wie es die Ironie so wollte, handelte es sich dabei ausgerechnet um einen Wiener Lokalpolitiker der FPÖ. Er wollte, nachdem wir die alte „Die-bösen-Israelis-nehmen-den-Palästinensern-ihr-Land-weg“-Leier hören mussten, ein wenig Schwung in die Diskussion bringen. Deshalb fragte er die Pfarrerin nach ihrer Meinung zur Verfolgung von Christen im Westjordanland und im Gazastreifen. Eine legitime Frage an eine christliche Pfarrerin, könnte man meinen. Doch eine solche Christenverfolgung hätte sie niemals erlebt. Allerdings, so sagte sie, würden Christen in Israel von radikalen Juden verfolgt!
Meine Mutter legte nach und wollte von der Pfarrerin wissen, wie sie als evangelische Pfarrerin sich in Jerusalem fühle, nachdem der Antisemitismus in Deutschland gerade im vergangenen Sommer 2015 so stark gestiegen sei. Die Pfarrerin verwies darauf, dass Kritik an Israel wichtig und richtig sei und dass die israelische Politik gegenüber den „Palästinensern“ falsch sei. Auf die Nachfrage meiner Mutter, ob ihre Einlassungen der Position der Evangelischen Kirche in Deutschland entsprächen, antwortete sie, dass es hierzu keine einheitliche Position, sondern lediglich eigenständige Meinungen der Kirchenmitglieder gäbe. Dann fragte meine Mutter noch, wie und wo die Pfarrerin die Trennlinie zwischen Kritik an Israel und Antisemitismus ziehen würde. Substanzielles hatte sie dazu nicht zu sagen, verwies nur auf die „bekannten 4 D“ (!). Als meine Mutter sie darauf hinwies, dass es sich um drei D, nämlich Dämonisierung, Delegitimierung und Doppelte Standards, handelt, hatte sie dazu nichts mehr beizutragen.
Zum Glück hatten wir unseren eigenen evangelischen Pfaffen in der Reisegruppe, der meine Mutter, die es gewagt hatte, seiner Kollegin kritische Frage zu stellen, nach dem Vortrag direkt zur Seite nahm, um sie zu maßregeln. Unaufgefordert erzählte er meiner Mutter, dass er die Position der Pfarrerin uneingeschränkt teile und dass es in der evangelischen Kirche keine allgemeine Position bei der Israelkritik gebe. Vom brillanten Vortrag der Pfarrerin zeigte er sich hoch befriedigt. Unser österreichischer Mitstreiter erzählte uns später, dass der Pfarrer ihm gegenüber geäußert hatte, dass er eine Sache an Israel besonders schlimm finde: nämlich, dass israelische Polizisten und Soldaten einfach Attentäter erschießen.
Dieser Pfarrer war mir schon zuvor aufgefallen. Immer, wenn unsere Reiseleiterin die Gruppenteilnehmer zählen wollte, boten er und seine Frau an, mit ihren Armen ein „Zähltor“ aufzuspannen. Jeder Teilnehmer musste dann durch das „Zähltor“ hindurchgehen und Pfaffe und Frau zählten eifrig mit. Ich kann mich nicht erinnern, schon jemals zuvor durch ein solches Zähltor gegangen zu sein – schon gar nicht auf einer Reise für über 1.500 Euro pro Person.
Letztendlich haben wir uns bei der Reisegruppe nach dem Besuch bei der Pfarrerin nicht mehr beliebt machen können. Am Ende konnten wir nur noch mit einer Familie sprechen, deren Tochter zum Judentum konvertiert war. Die anderen Teilnehmer ignorierten uns. Einmal wollten einige Leute aus der Gruppe einen Aufzug besteigen, in dem wir uns bereits befanden. Bei unserem Anblick schreckten sie zurück und zogen es vor, auf die nächste Fahrt zu warten. Nie hätte ich mir vor unserer Reise vorgestellt, dass der einzige andere wirkliche Israel-Freund ein FPÖ-Mitglied sein könnte. Er wurde nach dem Besuch bei der Pfarrerin von einer Teilnehmerin übrigens bei Facebook blockiert. (…)
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