Von Ulrich W. Sahm
Die evangelisch-lutherische Erlöserkirche in der Altstadt Jerusalems, gleich neben der Grabeskirche, ist mit ihrem hohen spitzen Turm nicht nur ein Wahrzeichen von Israels Hauptstadt. Viele Jahre lang war sie auch ein Zentrum der Ökumene und internationaler Kontakte, wobei neben Deutschen auch Angehörige aller christlichen Kirchen in Jerusalem, Juden und Moslems zu den Treffen im mittelalterlichen Kreuzgang kamen. Doch diese Begegnungen sind seit vielen Jahren eingebrochen, da man von protestantisch-deutscher Seite eine politische Agenda vertritt, in der andere Konfessionen keinen Platz finden. Mit Rainer Stuhlmann als Interimsprobst wird diese problematische Tradition fortgesetzt.
Seit 7 Jahren ist nun Wolfgang Schmidt das Kirchenoberhaupt, bei den deutschen Protestanten „Propst“ genannt und nicht „Bischof“, wie bei allen anderen Kirchen. Im September 2019 wird Schmidt Jerusalem verlassen, da seine Heimatkirche im badischen Karlsruhe ihn in das Amt des Oberkirchenrats für „Bildung und Erziehung in Schule und Gemeinde“ berufen hat. Für die EKD in Hannover, die den Propst in Jerusalem ernennt, scheint dieser Weggang überraschend gekommen zu sein. Denn sie hat jetzt erst mit der „Bewerbungsphase“ begonnen. Ein neuer Propst werde nicht vor Sommer 2020 nach Jerusalem kommen. Das schrieb Schmidt im Gemeindebrief der Erlöserkirche.
Bis dahin will die EKD zur „Vakanz-Überbrückung“ den rheinischen Pfarrer Rainer Stuhlmann schicken. Stuhlmann war viele Jahre Studienleiter in Nes Amim im Norden Israels. Dort machte er sich einen Namen mit einer holzschnittartigen Agenda, die der differenzierten Wirklichkeit nicht gerecht wird. Für Stuhlmann sind die Fronten im Nahostkonflikt klar. Hier die Besatzer, die jüdischen Israelis – dort die Besetzten, die palästinensischen Araber. Er differenziert dabei nicht zwischen „Palästinensern“ in Jericho und Gaza und arabischen Bürgern Israels. Für ihn sind einfach alle Araber vor Ort „Palästinenser“.
Wegen Stuhlmann geplatzte evangelisch-jüdische Reise
Im vergangenen Mai geriet er in die Schlagzeilen mit einem einseitigen Text in einer Gottesdienst-Arbeitshilfe „70 Jahre Staat Israel“ aus Anlass einer gemeinsamen Reise des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden Nordrhein und der EKIR (evangelische Kirche im Rheinland). Darin behauptete Stuhlmann, dass es in der evangelischen Kirche einen „Märtyrerkalender“ gebe, in den das Dorf Biram aufgenommen werden sollte. 1948 hatte Israel während des Krieges die Bewohner dieses grenznahen Dorfes bei Libanon vertrieben und nur die Kirche stehen lassen. Stuhlmann behauptete auch, dass es schon „palästinensische Christen“ gab, als Jesus von Nazareth gerade mal im Alter von 18 noch nicht mit seinen öffentlichen Auftritten begonnen hatte. Auch die anderen Darstellungen Stuhlmanns waren klassische Fälle „palästinensischer“ Propaganda mit dem Ziel, Israel und das Judentum zu delegitimieren. Ein Grußwort dazu hatte Manfred Rekowski verfasst, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Als die jüdische Gemeinde in Düsseldorf von diesem Artikel erfahren hatte, sagte sie spontan die gemeinsame geplante Reise ab, zumal der Präses nicht bereit war, sich von den Inhalten des Stuhlmann-Artikels zu distanzieren.
Auf die ungeheuerliche Behauptung Stuhlmann, dass Israels Gründung ein Tag der Trauer sei, und dass jener Tag in den Kalender der christlichen Märtyrer aufgenommen werden sollte, ging Rekowski trotz Nachfragen nicht ein. Dem jüdischen Landesverband blieb daher keine Wahl, als die historische Reise abzusagen.
In einer Pressemitteilung schrieb dazu Dr. Oded Horowitz vom Landesverband der jüdischen Gemeinden Nordrhein: „Umso mehr hat uns der darin enthaltene Beitrag „70 Jahre Staat Israel – ein Datum im christlichen Kalender?“ bestürzt und traurig zurückgelassen. Die darin geäußerte Verunglimpfung des Staates Israel als brutale Besatzungsmacht und die Unterschlagung historischer Fakten sind für uns nicht hinnehmbar. Zur 70. Jubiläumsfeier der Gründung des Staates Israel auf die Lebenslage der palästinensischen Bevölkerung als direktes Resultat der Staatgründung Israels zu verweisen, stellt das Existenzrecht Israels in Frage und hinterlässt einen faden Beigeschmack antizionistischer Stereotype.“
Auch in den deutschen Medien wurde diese Affäre um Stuhlmanns „Gottesdiensthilfe“ aufgegriffen. Die Frankfurter Rundschau titelte: „Eklat um Theologen-Papier im ‚Stil der Fatah und Hamas‘“.
In der „Zeit“ erschien ein Artikel unter dem Titel „Antisemitismus – Luthers Erben“. Darin wird zitiert: „Wir fanden in der Arbeitshilfe historische Falschdarstellungen, einen aggressiven Ton gegenüber Israel und Worte, die uns eher an palästinensische Propaganda erinnerten als an den Text einer deutschen Landeskirche“, sagt der Vorsitzende des jüdischen Landesverbandes, Oded Horowitz, gegenüber Christ&Welt. Der Text bewegt sich seiner Meinung nach auf der Grenze zum Antisemitismus, manche im Landesverband sähen die Grenze überschritten.“
Die so hoffnungsvoll begonnene interreligiöse Kooperation der Protestanten und Juden im Rheinland endete abrupt. Wobei sich nun fragt, wieso die EKD in Hannover ausgerechnet diesen Pastor in Ruhestand, Rainer Stuhlmann, erkoren hat, ein Jahr lang in Jerusalem in Jerusalem das Kirchenoberhaupt zu vertreten.
Die israelischen Polizisten, die im Umfeld der Erlöserkirche die Besucher vor Anschlägen bewahren, sind fast ausschließlich christliche Araber. Es grenzt an Rassismus, wenn man diese Israelis aus politischen Gründen gegen ihren Willen als „Palästinenser“ bezeichnet. Es ist daher kaum anzunehmen, dass der interreligiöse Dialog unter Stuhlmann eine positive Erneuerung erfährt. Gerade die Urchristen, die christlichen Aramäer, die besonderen Wert darauf legen, nicht als „Palästinenser“ bezeichnet zu werden, können sich in der deutschen Hauptkirche Jerusalems nicht mehr willkommen fühlen.
Insbesondere, da auch die zweite Pfarrstelle mit der Pastorin Gabriele Zander israelfeindlich besetzt ist.
Eher ist zu befürchten, dass weiteres Porzellan zerschlagen wird.