Noch 1933 bzw. 1938 flohen Juden aus Deutschland bzw. aus Österreich nach Südtirol  

März 3, 2017 – 5 Adar 5777
Die bewegte Geschichte der Südtiroler Juden

Von Sabine Mayr

Vor bald 115 Jahren wurde am 27. März 1901 die Meraner Synagoge als die erste Synagoge Tirols eröffnet. Anwesend waren der damalige Landesrabbiner von Tirol und Vorarlberg, Aron Tänzer, Mitglieder der Meraner Königswarter-Stiftung, darunter die Kurärzte Julius Stein, Max Koref, David Kaufer, Alfred Lustig und Max Bermann, der Ehrenpräsident der Königswarter-Stiftung Kurarzt Raphael Hausmann aus Breslau und ihr Präsident Bankier Friedrich Stransky aus Habern, der in seiner Eröffnungsrede auf die wichtige Rolle die Wohltätigkeit oder Zedaka im Judentum hinwies, die dank großzügiger Spenden der Förderer aus ganz Europa in Meran die Errichtung der Synagoge, eines Sanatoriums für mittellose Juden und von zwei Friedhöfen ermöglichte.

Noch heute beeindruckt das 1909 erweiterte Gebäude des einstigen jüdischen Sanatoriums neben der Synagoge, dem der Schriftsteller David Vogel in der Novelle „Im Sanatorium“ 1927 ein Denkmal setzte.

Nach außen musste die Meraner Glaubensgemeinschaft als „Königswarter-Stiftung“ auftreten, denn sie gehörte weiterhin zur jüdischen Gemeinde in Hohenems in Vorarlberg, obwohl die sehr aktiven Mitglieder in Meran schon seit der Gründung der Königswarter-Stiftung 1872 durch Isaac und Lisette Königswarter ihre Unabhängigkeit anstrebten, eigene Geburts-, Heirats- und Sterberegister führen und einen eigenen Rabbiner engagieren wollten. Da die österreichischen Behörden dies jedoch verweigerten, wurde die jüdische Gemeinde in Meran erst 1921 offiziell anerkannt, als Südtirol bereits dem italienischen Staatsgebiet angegliedert war.

Nach den Besuchen der Kaiserin Elisabeth ab dem Herbst 1870 zog die wachsende Kurstadt nicht nur prominente jüdische Kurgäste wie Franz Kafka, Perez Smolenskin, Chaim Weizmann, Daniel Spitzer, Sigmund Freud oder Stefan Zweig an, sondern auch jüdische Restaurant- und Pensionsbetreiber, Kaufleute, Fabrikanten, Ärzte und Rechtsanwälte, Kulturschaffende, Handwerker, Friseure und Schneider und Schneiderinnen. Wie die Familie des späteren langjährigen Präsidenten der jüdischen Gemeinde, Federico Steinhaus, oder der Tapezierer und Meraner Gemeinderat Ferdinand Imlauf kamen sie aus dem „böhmischen Bäderdreieck“, der Gegend zwischen Karlsbad, Marienbad und Franzensbad, aus Mähren und dem ungarischen Oberland, das heute in der Westslowakei, im Burgenland und in Nordwestungarn liegt, aus Schlesien, Galizien, aus Czernowitz, aus Warschau und zahlreichen weiteren Städten Polens, aus Königsberg, dem Baltikum, aus Russland oder wie der sephardische Antiquitäten- und Teppichhändler Suleiman Gabai aus Istanbul.

Unter den Förderern der Königswarter-Stiftung waren Arnold und Babette Wodianer. Arnolds Vater Joshua Kosman Wodianer war ein Talmudgelehrter, ein Schüler Chatam Sofers, als dieser noch in Mattersdorf lehrte, ehe er Pressburg zu einem religiösen Zentrum des mitteleuropäischen Judentums machte. Mitglieder seiner Familie brachten es in Ungarn zu großem Wohlstand. Auf Arnold Wodianer folgte Philipp Bauer als Präsident der Meraner Königswarter-Stiftung. Er hatte im tschechischen Warnsdorf die Baumwoll- und Leinenwarenfabrik Bauer & Gerber gegründet und war der Vater von Ida Bauer, die als „Fall Dora“ in „Bruchstück einer Hysterie-Analyse“ von Sigmund Freud analysiert wurde, und des austro-marxistischen Politikers Otto Bauer, der einige Jahre in Meran das Gymnasium besuchte. In seiner Studie „Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie“ forderte Otto Bauer kulturelle Autonomie für die verschiedenen Minderheiten der österreichisch-ungarischen Monarchie. Von seinem Amt als Außenminister der neu gegründeten Republik Österreich trat Bauer zurück, als er die Nichtrealisierbarkeit seiner Ziele erkannte, unter anderem der Verbleib Südtirols bei Österreich. Er starb am 5. Juli 1938 in Paris. Am selben Tag erschien im Londoner „News Chronicle“ sein Appell, die 300.000 österreichischen Juden zu retten.

Ab 1890 leitete Josef Schreiber, der in Aussee in der Steiermark das erste Sanatorium Österreichs gegründet hatte, in Meran die Kuranstalt für Nerven-, Magenleidende und rheumatische Beschwerden Hygiea. Clara Schreiber, seine Frau, schrieb Erzählungen, die Abhandlung „Eva“ über die Lebensbedingungen von Frauen, eine Broschüre über „Kaiserin Elisabeth in Meran“, Feuilletons und Rezensionen und lud literarisch und künstlerisch Interessierte zu sich nach Hause. 1890 hielt Clara Schreiber im Meraner Kurhaus den Vortrag „Die Brotfrage der Frau“ und erntete verleumdende Anfeindungen in der aggressiv antisemitischen klerikal-konservativen Presse. Ihre Tochter, Adele Schreiber-Krieger, war Mitbegründerin und Vizepräsidentin des Weltbundes für Frauenstimmrecht, eine bekannte Journalistin und Politikerin der Sozialdemokratischen Fraktion des Deutschen Reichstags.

Karl und Rudolf Furcht mit Vorfahren aus dem mährischen Städtchen Markwaretz kamen in den 1920er Jahren nach Bozen, wo Rudolf kaufmännischer Direktor der Klavierfabrik Schulze, Pollmann & Co. wurde. Als im Herbst 1938 unter dem Faschismus und auf Druck NS-Deutschlands die Rassengesetze eingeführt wurden, teilten sie das Schicksal vieler anderer jüdischer Familien, die sich in Südtirol niedergelassen haben und die ab 1933 aus Deutschland und ab 1938 aus Österreich nach Südtirol geflüchtet waren. (…)

Komplett zu lesen in der Druck- oder Onlineausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier für 39 Euro im Papierform abonnieren oder hier ein Onlinezugang zu den 12 Ausgaben für 33 Euro kaufen.


Sie können auch diesen Artikel komplett lesen, wenn Sie die aktuelle Ausgabe der "Jüdischen Rundschau" hier online mit der Lieferung direkt an Sie per Post bestellen oder jetzt online für 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk kaufen.

Brief an die Redaktion schreiben

Soziale Netzwerke