Interview der JÜDISCHEN RUNDSCHAU mit dem Botschafter des Staates Israel in Deutschland, S.E. Jeremy Issacharoff 
  

Juni 8, 2018 – 25 Sivan 5778
„Die beste Erfahrung ist es, sich selbst einen Eindruck zu verschaffen und Israel zu besuchen.“

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Exzellenz, wir freuen uns sehr, mit Ihnen im 70. Jahr der Gründung des Staates Israel über den aktuellen Stand und zukünftige Perspektiven der deutsch-israelischen Beziehungen zu sprechen. 70 Jahre Israel sind die Geschichte eines jüdischen und demokratischen Staates in der historischen Heimstätte des Judentums.
Was verbinden Sie persönlich mit diesem Jubiläum? Wie steht es aktuell um die bilateralen Beziehungen?

Seine Exzellenz Jeremy Issacharoff: Am 29. August vergangenen Jahres trat ich meinen Dienst als Botschafter in Deutschland mit einer Gedenkzeremonie am Gleis 17 im Grunewald an, von wo aus die Berliner Juden einst in die Vernichtungslager der Nazis deportiert wurden. Mir ist es wichtig, diese Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen, um uns stets im Bewusstsein zu halten, dass die Schoah sich niemals wiederholen darf. Als israelischer Botschafter in Deutschland liegt mir viel daran, diese Orte der geteilten Erinnerung zu bewahren und zugleich gemeinsame Perspektiven für die Zukunft daraus zu entwickeln.
Im 70. Jahr der Gründung Israels finden aus diesem Anlass zahlreiche Veranstaltungen statt – nicht nur in Berlin, sondern bundesweit. Erwähnenswert sind sicher der große Israeltag am Gendarmenmarkt unter der Schirmherrschaft der Botschaft und des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller. Die Regionalverbände der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und viele jüdische Gemeinden bieten darüber hinaus eigene Veranstaltungen an, die auf unterschiedliche gesellschaftliche Zielgruppen ausgerichtet sind.

JR: Israel wird häufig aufgrund der sogenannten „Siedlungspolitik“ von einzelnen Staaten wie auf multilateraler Ebene kritisiert. Darin manifestieren sich latente Vorbehalte gegen Israel, zugleich findet eine Reduzierung des Landes auf den seit der Staatsgründung schwelenden Konflikt mit den Arabern statt. Was ist zur Lebenssituation der etwa einen Million arabischer Israelis zu sagen? Wie beurteilen Sie diese oftmals einseitige Wahrnehmung Ihres Landes?

S.E. JI: Wie alle Bürger unseres Staates, haben auch die Israelis arabischer Abstammung ihre Rechte und Pflichten. Daneben gibt es einige Sonderregelungen: So sind arabische Israelis beispielsweise von der Wehrpflicht befreit, nicht wenige dienen jedoch freiwillig. In zivilrechtlichen Fragen haben die arabischen Gemeinden große Handlungsspielräume. Auch in die Rechtsprechung in diesem Bereich greift der Staat nur bei sicherheitsrelevanten Fällen ein. Was Israels häufige Verurteilungen in der UNO betrifft, so handelt es sich zumeist um Symbolpolitik. Die Berichterstattung fokussiert sich meist auf Negativschlagzeilen – dass die meisten relevanten Abstimmungen zu unseren Gunsten ausfallen, wird selten geschrieben. Wir suchen mit allen Ländern, die uns gegenüber aufgeschlossen sind, gemeinsame Interessen zu identifizieren. Es wäre sinnlos, die Gespräche mit bedeutenden Staaten einzustellen, weil es Differenzen in Einzelfragen gibt.
Was die, wie Sie zurecht sagen, vielfältigen Facetten unseres Landes und deren Wahrnehmung im öffentlichen Bewusstsein betrifft: Die Presseberichterstattung tendiert oft zur Fokussierung auf den Konflikt selber. In Jerusalem, wo ich lebte, ist der Alltag von Arabern, Christen und Juden von Koexistenz geprägt. Die beste Erfahrung ist es, sich selbst einen Eindruck zu verschaffen und Israel zu besuchen. Ob als Tourist oder im Rahmen eines der vielfältigen akademischen und sonstigen Austauschprogramme – das persönliche Erleben der Realitäten vor Ort lehrt einen, dass diese eben komplexer und vielschichtiger sind, als es medial vermittelt werden kann.

JR:Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die für Mai 2017 anberaumten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen abgesagt – u. a. aufgrund von Meinungsverschiedenheiten in der Frage des Siedlungsbaus. Wie haben Sie den Führungswechsel im Auswärtigen Amt und den Israelbesuch des neuen Außenministers Heiko Maas aufgenommen? Welche nächsten Schritte erhoffen Sie davon für die Verbesserung des zuletzt angeschlagenen Verhältnisses?

S.E. JI: Deutschland ist einer unserer wichtigsten strategischen Partner und daher arbeiten wir in allen Bereichen sehr eng und vertrauensvoll zusammen. Denken Sie beispielsweise an die Zusammenarbeit im militärischen Bereich und die Bereitstellung deutscher U-Boote zum Zwecke der maritimen Sicherheit unserer Hoheitsgewässer. Auch in Cyber- und Technologiefragen stimmen wir uns mit Deutschland eng ab. Der frühzeitige Besuch von Außenminister Heiko Maas in Israel und Jerusalem war ein wichtiges und zugleich persönlich sehr engagiertes Zeichen für die Stärkung der Freundschaft zwischen unseren beiden Nationen.

Eben weil unsere Beziehungen derart stark gewachsen sind, würde ich nicht von zu großen Verwerfungen in den jüngeren deutsch-israelischen Beziehungen sprechen. Natürlich haben wir Meinungsverschiedenheiten in Einzelfragen. Aber darüber kann man mit uns immer sprechen, an einem konstruktiven und lösungsorientierten Austausch ist uns sehr gelegen. Die Siedlungen sind mit Sicherheit nicht das größte Hindernis für Frieden und Stabilität in unserer Region. Mit dem Haschemitischen Königreich Jordanien und der Arabischen Republik Ägypten besteht eine über Jahrzehnte gewachsene, mittlerweile vertrauensvolle und sehr effektive Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und des Grenzschutzes auf der Grundlage gemeinsamer Interessen.

Die Palästinensische Autonomiebehörde und Israel arbeiten auf mehreren Ebenen eng miteinander. Wenngleich die terroristischen Aktivitäten der radikalislamistischen Hamas in Gaza und der den Libanon kontrollierenden Hisbollah nicht zu vernachlässigen sind: Der Konflikt der Palästinenser mit Israel ist nicht die zentrale Herausforderung im Mittleren Osten, wie es gerne dargestellt wird. Die Sorge vor den aggressiven Expansionsbestrebungen des Iran teilen wir mit den Golfstaaten. Hier sehe ich aktuell die größte Bedrohung für Stabilität in der Region.

JR:Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen Erinnerungskultur und Gedenken an die Schoah einerseits und den aktuell zunehmenden, antisemitischen Anfeindungen in Deutschland lebender Juden andererseits? Gibt es aus Ihrer Sicht bestimmte gesellschaftliche Milieus, bei denen die deutsche Politik zu lange weggesehen hat? Wissen Sie von den Gründen jüdischer Bürger, die aktuell von Deutschland nach Israel auswandern?

S.E. JI: Die Vergangenheit ist die Grundlage der Gestaltung unserer Gegenwart und Zukunft. Wir dürfen niemals vergessen, was Juden in Deutschland und Europa geschehen ist. Wer in Deutschland leben möchte, muss sich mit der Geschichte befassen und die Gesetze respektieren. Gegenüber Antisemitismus in allen Ausprägungen kann es keinerlei Toleranz geben. Die Lehren aus der Schoah und der Grundsatz der Sicherheit jüdischen Lebens in Deutschland dürfen sich nicht in Lippenbekenntnissen erschöpfen, sondern muss von den politischen Entscheidungsträgern durch konkrete Maßnahmen flankiert werden. Die Einrichtung des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus ist ein wichtiger Schritt hin zu einer gesamtgesellschaftlichen Sensibilisierung für dieses Thema. Weiterhin braucht es systematische Ansätze im Bildungsbereich um die Ausprägung antisemitischer Stereotype von Anfang an zu verhindern. Die Förderung regionaler Gedenkstättenarbeit bildet einen wichtigen Bestandteil der Arbeit, um abstrakte Vorstellungen von Antisemitismus zu überwinden und konkrete Bezugspunkte zu ermöglichen. Die Gründe von deutschen Juden, die aktuell nach Israel einwandern, erfasst die israelische Botschaft nicht.

JR: Israel genießt internationales Ansehen als Vorreiter auf dem Gebiet der Digitalisierung und Innovationsförderung, während Deutschland hier bekanntlich Nachholbedarf hat. In welchen weiteren Bereichen soll die bilaterale Kooperation ausgebaut werden? Welche konkreten Projekte können wir im Laufe des Jahres erwarten? Und was kann man als Bürger dazu beitragen, die Beziehungen mit Israel zu stärken?

S.E. JI: Wir möchten insbesondere den bilateralen Jugendaustausch stärker fördern, um möglichst vielen jungen Menschen die Chance zu ermöglichen, das jeweils andere Land kennenzulernen und persönliche Bindungen aufzubauen. Auch den Austausch zwischen Unternehmen und Fachkräften möchten wir stärken. Den Bereich der digitalen Industrie und Hightech haben Sie bereits angesprochen, auch im Energiesektor möchten wir neue Kooperationen mit deutschen Firmen und Fachkräften schaffen. Nicht zuletzt die Förderung erneuerbarer Energien steht dabei im Fokus unseres Interesses.

Durch die Schaffung von Verbindung in das Alltagsleben der Menschen entsteht Vertrauen, dies ist die Basis jeder Verständigung. Dabei sind wir stets offen für neue Initiativen sowohl von staatlichen Akteuren, als auch aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Insbesondere bei der Zusammenarbeit von jungen Deutschen und Israelis aus dem Start-Up-Bereich sehe ich große Potentiale. Ich lade jeden Bürger Deutschlands herzlich dazu ein, sich im Rahmen seiner persönlichen Interessen die deutsch-israelischen Beziehungen anzuschauen, aktiv zu werden und somit neue Partner, die gleichsam Freunde werden können, zu gewinnen.

JR: Abschließend möchte ich noch auf Israels Rolle in der Welt zu sprechen kommen. Premierminister Netanjahu war der erste israelische Staatschef, der Kasachstan und Aserbaidschan besuchte, seit 30 Jahren der erste israelische Ministerpräsident auf Staatsbesuch in Afrika und im September ebenfalls erstmalig in Lateinamerika. Was ist der Anlass dieser Neuorientierung der israelischen Außenpolitik? Wie kann Israel seine Stellung im System der Vereinten Nationen langfristig festigen?

S.E. JI: Gute Beziehungen mit West und Ost sowie Nord und Süd schließen sich nicht gegenseitig aus. Vielleicht bedingen sie sich vielmehr in der komplexen geopolitischen Situation, die wir derzeit erleben. Die USA bleiben unser wichtigster Partner. Gleichzeitig hat Premierminister Netanjahu ein gutes Verhältnis zu Präsident Putin, das sich angesichts der massiven russischen Präsenz in unserem Nachbarland Syrien als wichtige diplomatische Verbindung erwiesen hat, um ungewollte Zwischenfälle zu vermeiden, wo es geht. Die gemeinsamen Sicherheitsinteressen mit Russland in der Region sind für uns die Basis bilateraler Gespräche.
Neben den von Ihnen erwähnten Staaten verfügen wir auch über starke Beziehungen zu Indien und Südkorea, ebenso wie zu Argentinien und den zentralamerikanischen Staaten. Zu unseren engsten Verbündeten gehört neben Deutschland und anderen europäischen Ländern auch Australien. Wir suchen die gemeinsamen Schnittmengen und Potentiale in den bilateralen Beziehungen, um erfolgreiche Projekte mit unseren Partnern zu realisieren und Situationen des beiderseitigen Vorteils zu schaffen.

JR: Herr Botschafter Issacharoff, danke für dieses Gespräch!

Das Gespräch führte Urs Unkauf.

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