Ein biographischer Bericht über die Schoah im faschistischen Italien  

August 7, 2015 – 22 Av 5775
Der verstrichene Moment

Von Alwin Kalmbach und Peter Lutz Kalmbach

Davide Schiffer ist ein feingliedriger älterer Herr, weißhaarig, mit einer ausdrucksstarken Physiognomie. Wer ihm begegnet, erlebt einen zurückhaltenden, freundlichen Menschen, bei dem vor allem auffällt, dass er Ruhe förmlich ausstrahlt. Schiffer, Jahrgang 1928, ist ein international geachteter Neurologe, der als Wissenschaftler und Lehrender an der Universität Turin seit den 1960er Jahren bedeutend an der Entwicklung seiner Disziplin mitwirkte. Dieser bemerkenswerte Lebensabschnitt ist jedoch nur ein Teil eines bewegenden Lebens. Das Schicksal Davide Schiffers hat noch eine andere, tragische Seite: Es ist die Geschichte eines Kindes, das unter den Bedingungen des italienischen Faschismus aufwuchs und erleben musste, wie der Vater wegen „jüdischer Rassenzugehörigkeit“ verschleppt wurde – um in einem Konzentrationslager ums Leben gebracht zu werden.

In Deutschland ist heute kaum bekannt, dass die von den Nationalsozialisten betriebene Judenverfolgung auch in Italien tausende Opfer forderte. Bereits in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg hatten die erste faschistische Regierung Europas die jüdischen Angehörigen der Bevölkerung propagandistisch stigmatisiert und schließlich mit Rassengesetzen auch formell zu Geächteten gemacht. 2008 veröffentliche Davide Schiffer seine Lebenserinnerungen. Mit ruhigen, sensiblen Beschreibungen führt Schiffer den Leser aus der Beschaulichkeit der Kinderjahre, die er in seiner piemontesischen Heimat erlebte, hin zu den Umbrüchen der 1930/40er Jahre, die zur Zerstörung der Familie führten und die Unbeschwertheit des Erzählers jäh beendeten.

Die Familiengeschichte der Schiffers war eng verknüpft mit dem Ersten Weltkrieg. Vater Alessandro, den es als österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen in die italienische Provinz verschlagen hatte, wo er zur Arbeit eingesetzt wor- den war, hatte sich in eine Einheimische verliebt und sie geheiratet: Firmina, die Mutter von Davide und drei weiteren Geschwistern. Die frühere Zugehörigkeit seines Vaters zu einer gegnerischen Streitmacht war in den ersten Jahren Davides das einzige Erleben einer Dis- harmonie in einer glücklichen und behüteten Kindheit: An Feiertagen zogen die italienischen Kriegsveteranen johlend durch das Dorf; ohne den Vater, denn dieser, das wurde dem Jungen bewusst, hatte im Kriege auf der anderen Seite gestanden.

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