Der Iran hat eine lange Tradition der Landnahme und des Sklavenhandels – doch auch sein aktueller Imperialismus wird durch westliche Akteure relativiert  

Dezember 7, 2018 – 29 Kislev 5779
Der verkannte Imperialismus nicht-westlicher Staaten

Von Anastasia Iosseliani

Am 5. April 2018 publizierte der Politikwissenschaftler Hillel Frisch, Professor an der Bar-Ilan-Universität und leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien, einen Artikel in der amerikanisch-jüdischen Wochenzeitung „Algemeiner“, der dem Imperialismus der Islamischen Republik Iran gewidmet war.

Dieser Beitrag ist deshalb bemerkenswert, weil er etwas benennt, das für sogenannte „Antiimperialisten“ im Westen ein wunder Punkt ist: Für sie, die einem politisch unterkomplexen und moralisch schäbigen Weltbild anhängen, fällt sogenannter „Imperialismus“ nämlich einzig Politikern, Regierungen und Organisationen westlich des Dnjepr und nördlich des Mittelmeers zu. Ist hingegen die territoriale Souveränität von Staaten wie Georgien und der Ukraine bedroht, wird dies totgeschwiegen.

Dies gilt auch für die „Islamische Republik“, die eigentlich nur auf dem Papier eine Republik ist: Das imperialistische Handeln der Teheraner Mullahs, die mit ihren Revolutionsgarden und ihren überregional agierenden Proxys für Unheil sorgen, und eine eminente Bedrohung für den Juden unter den Staaten darstellen, wird von „Anti-Imperialisten“ ignoriert, relativiert und manchmal sogar mit Applaus bedacht. Dabei ist es historisch nicht überraschend, dass sich dieses Regime durch imperialistische Züge auszeichnet. Iran ist der Nachfolger der Perserreiche, von Imperien also, welche auch auf kaukasischer Sklavenarbeit gedeihen konnten. Als Beispiel sei hier die Politik der Schahs in Georgien genannt, welche auf zwei Säulen fußte: erstens Massaker, um den Gedanken an Rebellion im Keim zu ersticken, zweitens Deportation der Zivilbevölkerung ins iranische Kernland – etwa nach Mazandaran, für den lokalen Reisanbau, oder nach Isfahan, um den dortigen Prunk zu errichten.

Georgische Sklaven in iranischen Haushalten
Dem italienischen Abenteurer Pietro della Valle zufolge gab es während der dynastischen Herrschaft der Safawiden vom 16. bis zum 18. Jahrhundert keinen iranischen Haushalt ohne georgische Sklaven: Das Perserreich hatte also bereits zu einem Zeitpunkt kaukasische Bevölkerungsgruppen – unter ihnen Abertausende Georgier – unterworfen und schwunghaften Menschenhandel betrieben als die Niederländische Westindien-Kompanie noch nicht mal existierte.

Aus diesen und anderen historischen Gründen ist der Iran anfällig für imperialistische Bestrebungen. Seit der Islamischen Revolution wird der Iran von schiitischen Klerikern regiert, die bisweilen sogar die Rechtfertigungspolitik von Putins Russland zu überbieten vermögen: Denn im Gegensatz zu Letzterem, der immerhin behaupten kann, die russischen Militärstützpunkte in den syrischen Städten Tartus und Latakia zu „schützen“, stilisiert die Propagandamaschinerie der „Islamischen Republik“ die dortige iranische Präsenz – die primär aus Revolutionsgarden, den paramilitärischen Basiji und zwangsverpflichteten schiitischen Flüchtlingen aus Afghanistan und Pakistan besteht – zu Hütern von Schreinen schiitischer Heiliger und Märtyrer.

Schutzmacht aller Schiiten
Den eigenen imperialistisch-irredentistischen Zügen wird so ein religiöser Anstrich und damit Legitimität verliehen. Es ist deshalb vollkommen irrelevant, ob der Außenminister des iranischen Regimes, Mohammed Javad Zarif, Anfang 2018 an der Münchner Sicherheitskonferenz einem westlichen Publikum versicherte, dass es die „Republik“ nicht anstrebe, Alleinherrscher der Region zu werden: Die Politik des Regimes spricht eine andere Sprache.

Dies wird nun von Antiimperialisten entweder ignoriert oder bis zur Unkenntlichkeit schöngeredet, um das eigene Weltbild nicht zu gefährden, das immer und immer wieder den Westen als historischen Buhmann zeichnen muss. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Staaten wie der Iran eine koloniale Vergangenheit haben. (Dieses historische Detail interessiert die „Postcolonial Studies“, die seit den 1990er Jahren an westlichen Hochschulen gelehrt werden und die Folgen kolonialer Herrschaft zum Thema haben, übrigens ebenfalls nicht). Anklang findet der Vorbehalt aber auch in manchen exil-iranischen Kreisen, die bis heute im Mossadegh-Märtyrerkult schwelgen und der Meinung sind, dass der Iran aufgrund der vom Westen orchestrierten „Operation Ajax“, mit welcher der damalige iranische Premierminister 1953 gestürzt worden war, und nicht etwa wegen der Islamischen Revolution ein religiöses Regime ist, das Terrorismus exportiert. Diese Exil-Iraner erweisen den Iranern im Iran einen Bärendienst.

Am Ende ist immer der Westen schuld
Historische Ignoranz, zeitgemäße Relativierungen und autoritäre Sehnsüchte sind die wesentlichen Merkmale der westlichen Antiimperialisten. Während sie in jedem noch so kleinen Akt eines europäischen oder nordamerikanischen Politikers das Fortleben von Kolonialismus und Imperialismus wittern, schieben sie solche Tendenzen bei Staaten wie dem Iran beiseite, biedern sich unmenschlichen Regimen wie der „Islamischen Republik“ an und sehen in ihrer maßlosen Selbstgerechtigkeit noch etwas Gutes.

Der Rassismus der niedrigen Erwartungen
Der britische Autor und Ex-Islamist Maajid Nawaz, auf den die treffende Bezeichnung der „regressiven Linke“ zurückgeht, nennt ein solches Schönreden von Handlungen, die Menschen aus dem islamischen „Kulturkreis“ zufallen, einen „racism of low expectations“

Trotz solcher Kritik und unumstößlichen Fakten wie z.B. der Tatsache, dass das iranische Regime ethnische und religiöse Minderheiten in der „Republik“ bestenfalls als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse behandelt, biedern sich „Antiimperialisten“ der Diktatur weiterhin an. Auch dass der weiblichen Bevölkerung das Kopftuch in der Öffentlichkeit aufgezwungen wird und die Fatwas gegen Salman Rushdie noch immer in Kraft ist, ändert daran nichts. Dies und vieles mehr zeigt, dass analog dazu, wie die „Islamische Republik“ nur auf dem Papier eine Republik ist, „Antiimperialisten“ nur in der Theorie gegen Imperialismus sind. Faktisch handelt es sich um politische Existenzen, die von der Freiheit in liberalen Demokratien überfordert sind. Weil diese regressiven Linken höchstwahrscheinlich nie Opfer der imperialistischen Politik solch autoritärer Staatsformen werden, für die sie sich begeistern, so schweigen sie auch jetzt, während die Rechtsnachfolger gescheiterter Imperien – Erdoğans Türkei, Russland und die „Republik“ der Mullahs – nach Feudalherrenmanier Syrien so parzellieren, wie ihre Vorfahren einst den Kaukasus unter sich aufgeteilt haben. Somit opfern die Antiimperialisten die Zivilbevölkerung Syriens und des Irans ihrem Weltbild, den Bauern beim Schachspiel nicht unähnlich. (…)

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