Lanzmanns neuer Film  

Juli 6, 2015 – 19 Tammuz 5775
„Der Letzte der Ungerechten“

Von Gabriella Meros

„Der Letzte der Ungerechten“ heißt der neue Dokumentarfilm von Claude Lanzmann. Als Claude Lanzmann 1985 für seinen Film „Shoah“ Interviews führte, war sein erstes Interview, das er eine Woche lang führte, jenes mit dem Rabbiner und Funktionär der jüdischen Gemeinde in Theresienstadt, Benjamin Murmelstein.

Wegen seiner Aufgabe als Judenältester und Verbindungsmann zwischen den KZ-Häftlingen und den Nazis, war Murmelstein bei den einen als Held gefeiert, während andere die Todesstrafe für ihn forderten wegen seiner Rolle und seiner „Beziehung“ zu dem SS-Funktionär Eichmann.

Lanzmann zeigt Murmelstein als einen Mann mit Mut, mit einer faszinierenden Intelligenz und wachem Erinnerungsvermögen, zugleich als einen großartigen Erzähler.

In dem sehr eindrücklichen Interview wird nicht nur informiert, sondern Lanzmann versucht auch Murmelsteins guten Namen wiederherzustellen. Murmelstein lebte damals in Rom. Als er starb, verweigerte der Rabbiner ihm eine Beerdigung auf dem jüdischen Friedhof.

Hotel Vier Jahreszeiten München, Salon. Am Abend vor dem Interview treffe ich Claude Lanzmann zum Abendessen. Er bestellt eine Rinderbrühe und mag die Grießnockerln nicht essen. Danach Rindertartar, da lässt er sich noch ein Eigelb extra bringen, zum Dessert verschiedene Käsesorten. Er genießt die Frauen um sich und spricht mit einer sehr männlichen Stimme. Er erzählt von dem besonderen Verdienstkreuz, das er von der deutschen Botschaft in Paris im April überreicht bekam und schaut nebenbei Fotos auf seinem Smartphone an – von sich selbst. Er zeigt ein Foto von sich mit Kim Basinger, dann ein Portrait von einem hübschen jungen Mann mit trendy Bart. Lanzmann sagt, „das war mein Sohn, er starb an einem sehr seltenen Krebs, das war sehr schwer für mich“. Mein Herz schmerzte als er weitere Fotos von seinem Sohn mit Glatze im Krankenhaus zeigte, an vielen Schläuchen hängend, in der Intensivstation. Er war ein später Vater und er überlebt seinen Sohn – was für eine Tragik.

Die Legende Claude Lanzmann gewährt einen kurzen Blick in sein Privatleben, und bevor er aufs Zimmer geht, zeigt er noch ein Foto von seiner Katze. Er mag es, wenn man ihm Küsschen gibt – was wir gerne tun. Von drei höchstens halb so alten Frauen umarmt zu werden ist schon nicht schlecht mit 90 Jahren.
(...)
Murmelstein erzählte in dem Film, dass die Judenältesten im KZ immer die Liste zusammenstellen mussten, um die Häftlinge auszuwählen, die in den Gaskammern vergast werden sollten, und in den Ghettos diejenigen auszuwählen hatten, die deportiert werden sollten. Er sagte „wenn Sie uns deportieren wollen, dann machen Sie das selbst!“. Er selbst hat nie eine Auswahl getroffen und sich diesem Zwang zum Komplizentum immer verweigert. Er erzählte weiter, dass eines Tages ein 16-jähriger Junge zu ihm kam und ihn um Hilfe anbettelte. Er stehe auf der Todesliste und Murmelstein solle ihn bitte davon streichen. Murmelstein sagte dem Jungen, dass er nichts mit den Listen zu tun hat und er auch nicht die Wahl getroffen hat. Am Tag des Abtransportes sah er den Jungen lächeln. Murmelstein fragte ihn, was denn passiert sei. Der Junge antwortete, das Ganze wäre eine Verwechslung. Nicht er soll in den Transport kommen, sondern sein Vater. (…)

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