Jüdischer Neuanfang auf dem Gutshof des „Stürmer“-Herausgebers  

September 5, 2015 – 21 Elul 5775
Der Kibbuz auf dem Streicher-Hof

Von Jim Tobias

Abraham Mathias konnte es nicht fassen: „Ich als Jude war auf dem Bauernhof von Julius Streicher, es ist unglaublich, dort, wo vorher dieser Hetzer lebte!“ Mathias war damals gerade 17 Jahre alt und musste schon als Kind Zwangsarbeit leisten. Es scheint eine Ironie der Geschichte zu sein, dass sich ausgerechnet das Haus seines ärgsten Feindes in einen jüdische Übungshof verwandelte. In den 1930er Jahren hatte der NSDAP-Gauleiter von Franken, Julius Streicher, den Pleikershof gekauft.

Er finanzierte den Erwerb des nur wenige Kilometer vor den Toren Nürnbergs liegenden Bauernhofs mit seinen Einnahmen aus dem Verkauf der antisemitischen Hetzschrift „Der Stürmer“. Nach Kriegsende beschlagnahmte die US-Militärregierung das Anwesen und stellte es Überlebenden der Schoah zur Verfügung. Eine über dem Eingangstor angebrachte Inschrift machte den Wechsel weithin sichtbar. „Bruchim Habajim“ (dt.: Herzlich willkommen) war dort in hebräischen Lettern zu lesen.

Nach Kriegsende irrten die wenigen der Vernichtungslager entkommenen Überlebenden der Schoah durch das zerstörte Europa. Sie hatten nur einen Wunsch: Deutschland so schnell wie möglichst zu verlassen und in Palästina einen jüdischen Staat aufzubauen. Doch dort regierte noch die britische Mandatsmacht, die den Juden die Einreise verweigerte.

Die durch das jahrelange Martyrium in den NS-Lagern gequälten Menschen brauchten eine vorübergehende Bleibe. Im Herbst des Jahres 1945 ordnete die Besatzungsmacht daher den Aufbau jüdischer DP (Displaced Persons)-Lager für die entwurzelten, verschleppten und geschundenen Menschen an. Erinnert sei an die bekannten großen Lager im Süden Deutschlands wie Pocking, Landsberg oder Föhrenwald, in denen jeweils mehrere tausend Juden lebten. Daneben wurden über 40 kleinere Lager, sogenannte Übungs-Kibbuzim eingerichtet, wie etwa die jüdische Bauernschule auf dem Streicher-Hof. Die Kibbuzniks nannten ihr neues Zuhause Kibbuz Nili, eine Abkürzung des hebräischen Satzes „Nezach Israel lo Jeschaker“, zu deutsch: „Die Ewigkeit des Volkes Israel ist nicht zu verleugnen!“.

Als die Juden den Hof übernahmen, entdeckten sie ein Schild mit der Aufschrift: „Ohne Lösung der Judenfrage gibt es keine Lösung der Weltfrage.“ Diese Tafel wurde nicht entfernt. Für die Kibbuzniks war diese Aussage mit der Einrichtung eines jüdischen Gemeinwesens verbunden. Nur durch die Gründung des Staates Israel konnte die „Judenfrage“ im Sinne der Schoah-Überlebenden gelöst werden.

In Palästina warteten unfruchtbare Landstriche darauf, in Äcker umgewandelt zu werden. Aus Sümpfen sollte urbares Gebiet entstehen. Der Pleikershof war ein ideales Ausbildungslager. (…)

Komplett zu lesen in der Druck- oder Onlineausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier für 39 Euro im Papierform abonnieren oder hier ein Onlinezugang zu den 12 Ausgaben für 33 Euro kaufen.


Sie können auch diesen Artikel komplett lesen, wenn Sie die aktuelle Ausgabe der "Jüdischen Rundschau" hier online mit der Lieferung direkt an Sie per Post bestellen oder jetzt online für 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk kaufen.

Brief an die Redaktion schreiben

Soziale Netzwerke