Von Marko Martin
„Sage das Unsagbare/ das Ungesagte sage es auch/ doch das Zweigesagte sage nicht.“ Eine Aufforderung in eigener Sache, die der Lyriker Manfred Winkler (1922-2014) auf skrupulöse Weise beherzigt hat. Aufgewachsen in einer jüdisch-bürgerlichen Familie in Czernowitz – Geburtsstadt von Paul Celan und Rose Ausländer – hatte Winkler die Schrecken des 20. Jahrhunderts am eigenen Leib erlebt. Während der sowjetischen Besatzung der Bukowina 1940/41 waren Winklers Eltern und sein Bruder nach Sibirien verschleppt worden, er selbst wurde unter dem mit Hitler verbündeten faschistischen Antonescu-Regime in ein transnistrisches Arbeitslager deportiert. Nach bleiernen Nachkriegsjahren unter dem stalinistischen Regime in Rumänien war es ihm dann erst 1959 gelungen, zusammen mit seiner Frau nach Israel auszureisen.
In Jerusalem arbeitete Manfred Winkler im Theodor-Herzl-Archiv, wurde zum wichtigsten hebräischen Übersetzer von Paul Celan und erneuerte auch sein eigenes Schreiben: Von der gereimten zur reimlosen Dichtung, jedoch weiterhin in seiner geliebten deutschen Sprache, voller Melancholie, die indessen nie süßlich wird. „Jemand döst vor sich hin/ in den kaltgewordenen Tee/ im Café Rowal im Zentrum Tel Avivs// Jemand hört der heimkehrenden Herden/ karpatisches Glockenspiel.“ Poetische Welten, die sich ohne folkloristische Gefälligkeit bei Manfred Winkler mischen: Erinnerung an osteuropäische Landschaften, verwoben mit israelischer Gegenwart, wobei jedoch das Tagespolitische ausgespart bleibt und stattdessen die tieferen Wurzeln jüdischer Präsenz reflektiert werden: „Eitel ist der Tag in der Morgenfrühe/ die Frau in deinem Blut// Denk an den alten König/ seine Abendstimme/ Sulamith die Blume von Saron.“
Er blieb ein Geheimtipp
Im Vergleich mit Paul Celan ist Winklers Lyrik weniger hermetisch und verrätselt, obwohl auch sie immer wieder die letztliche Unmöglichkeit der Erfahrungs-Vermittlung thematisiert. „Ich ging über den Herbst der Dinge“, heißt es in einem der Gedichte, abstrakt und sinnlich zugleich – ähnlich den Tonfiguren, die der auch als Bildhauer tätige Dichter formte und brannte in seinem kleinen Häuschen nahe der Jerusalemer Ben-Yehuda-Straße, das er mit ironisch-ländlicher Robustheit „meine Bude“ nannte. Obwohl 1999 in Israel mit einem literarischen Staatspreis geehrt, blieb er im dortigen Literaturbetrieb lebenslang eher ein Geheimtipp, erschienen seine weiterhin in der Herkunftssprache geschriebenen Gedichtbände in Deutschland. Der literarische Austausch konzentrierte sich vor allem im Jerusalemer „Lyrik-Kreis“, einem freundschaftlichen Zusammenschluss der verbliebenen deutschsprachigen Dichter.
Wer noch das Glück hatte, Manfred Winkler in seinen letzten Jahren kennenzulernen, traf freilich keinen mürrisch Verbitterten, sondern einen weisen alten Mann, der – anstatt gegen die Welt zu moralisieren – die eigene Endlichkeit in wundersam unprätentiöse, suggestive Zeilen fasste: „Es ist schon späte Nacht geworden/ ich wandere dem Lichte zu/ Morgen wenn die Störche kommen/ bin ich schon ein Anderer// Morgen, wie viele Zeilen und Begebenheiten/ enthält dieses zweisilbige Wort“.
Neuerscheinung im österreichischen Verlag
Nun hat der Wiener Arco-Verlag Winklers gesammelte Lyrik in einem voluminösen Band herausgegeben, dem trotz seiner knapp neunhundert Seiten überhaupt nichts Einschüchterndes anhaftet. Liegt es am leserfreundlichen Druckbild und an den Gedicht-Kommentaren, die nicht germanistisch prunken, sondern den mit Manfred Winklers Tod zu Ende gegangenen deutschsprachigen Jerusalemer Dichter-Kosmos noch einmal auferstehen lassen? Vor allem sind es die Gedichte selbst, ihre strenge Schönheit, die sich tatsächlich dem dahingeplapperten „Zweigesagten“ immer wieder aufs Neue verweigert. „Orientalisches Gedankenbild./ Ein zerzauster Wind/ und eine halboffen-braune Tür,/ die einen von vier Wänden/ umgebenen Innenhof enthüllt/ mit einem jungen Baum in der Mitte/ und drei Stauden von wilden Rosen um ihn/ jahreweit entfernt-/ ein Baum mit legendenaltem roten Stamm“.
Manfred Winkler: Haschen nach Wind. Die Gedichte. (Hrg. Von Monica Temian und Hans-Jürgen Schrader) Arco Verlag, Wien 2018, 878 S., geb., Euro 39,-
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