Die Wiederbelebung und die Modernisierung der Sprache der Thora ist eine in der Geschichte der Zivilisation einmalige kulturelle Errungenschaft  

November 9, 2018 – 1 Kislev 5779
Das Wunder der Auferstehung der hebräischen Sprache

Von Amotz Asa-El

„Für wen plage ich mich ab?“, fragte sich Jehuda Leib Gordon (1830-1892), während er in der Dunkelheit, Stille und Kälte Litauens hebräische Zeilen niederschrieb.

Nachdem er jahrelang Gedichte, Satiren und Parabeln in hebräischer Sprache geschrieben hatte, einer Sprache, die über Jahrhunderte praktisch niemand aktiv gesprochen hatte, stellte sich Gordon diese Frage stellvertretend für eine ganze Gruppe von Autoren, die sich zum Ziel gesetzt hatten, eine Sprache wiederzubeleben, die nach dem Verlust des Landes der Juden im Altertum ihre Lebenskraft verloren hatte.

Es dauerte mehr als 150 Jahre, aber nun macht die heutige Vitalität der hebräischen Sprache seine Wiederauferstehung zu einer in der Geschichte noch nie zuvor gesehenen kulturellen Leistung.

Eines ist jedoch sicher – Hebräisch war nie gestorben.

Jedem jüdischen Kind wurde beigebracht, Hebräisch zu lesen, zu schreiben und zu beten; Teenagern wurden religiöse Texte gelehrt und Rabbis korrespondierten auf Hebräisch über religiöse Probleme.

Auch schufen die Juden in der Diaspora monumentale hebräische Werke, wie etwa die Mischna, ein Gesetzeskodex aus römischer Zeit sowie deren Fortsetzungen, Mischne Tora (im 12. Jahrhundert von Moses Maimonides verfasst) und Schulchan Aruch (im 16. Jahrhundert von Rabbi Joseph Karo geschrieben).

Dennoch war das säkulare Hebräisch, die Sprache, in der die Juden des Altertums Landwirtschaft und Handel trieben, regierten und poetisierten, zu einer Sprache von Liturgie, Ritualen und Gelehrsamkeit reduziert worden.

Das tägliche Leben wurde nach und nach in anderen Sprachen geführt und auch das kulturelle Schaffen der Juden fand in anderen Sprachen statt.

Philon, der jüdische Philosoph (20 v. Chr.–50 n. Chr.) schrieb auf Griechisch, Maimonides schrieb den Führer der Unschlüssigen in arabischer Sprache, Baruch de Spinoza, der Pionier des modernen Säkularismus, schrieb auf Latein, Moses Mendelssohn (1729–1786), der Prophet der jüdischen Aufklärung, schrieb in deutscher und Simon Dubnow (1860-1941), der größte Historiker des osteuropäischen Judentums, in russischer Sprache.

Das germanische Jiddisch und das romanische Ladino
Gleichzeitig entwickelten die Juden neue Sprachen, in denen Hebräisch mit anderen Sprachen vermischt wurde. Da waren zum Beispiel das Ladino der spanischen Juden, ein halbes Dutzend Arten eines jüdischen Arabisch und das Jiddisch der europäischen Juden, in dem sich hebräische, deutsche, aramäische und slawische Worte miteinander vermischten.

Jiddisch war so weit verbreitet, dass es vom Schtetl im zaristischen Russland bis zur Lower Eastside in New York gesprochen wurde. Das ist auch der Grund, warum es die vorherrschende Sprache der Holocaustopfer war – und mit ihnen starb.

Während diese Wendung der Ereignisse von niemandem vorhergesehen wurde, begannen jüdische Gelehrte im 19. Jahrhundert von einer Auferstehung des Hebräischen zu träumen – die einen, indem sie es schrieben, die anderen, indem sie es tatsächlich sprachen.

Die literarischen Anstrengungen trugen erste Früchte in Europa, wo im Reich der Habsburger sowie im deutschen und im russischen Kaiserreich hebräische Zeitschriften entstanden. Das Bemühen um die mündliche Sprache begann im Land Israel.

Es stieß auf Skepsis, Spott und Feindseligkeit.

Theodor Herzl zweifelte an Hebräisch
Die Skepsis äußerte kein Geringerer als Theodor Herzl, der sich in seinem Manifest „Der Judenstaat“ fragte: „Wer von uns kann gut genug Hebräisch, um in dieser Sprache einen Zugfahrschein zu verlangen?“.

Spott und Feindseligkeit wurden einem in Russland geborenen Gelehrten zuteil, der 1881 nach Jerusalem zog und dort zwei hebräische Zeitungen gründete, seine Kinder auf Hebräisch erzog und das erste Wörterbuch des alten und neuen Hebräisch zu schreiben begann.

Der kleingewachsene, bebrillte und schwächliche Eliezer Ben-Jehuda (1858–1922) wurde von den ultraorthodoxen Rabbinern Jerusalems als politischer Unruhestifter und säkularisierender Feind betrachtet. Auch wenn er auf einsamem Posten kämpfte – und einmal sogar von den Osmanen wegen des Propagierens von Nationalismus inhaftiert wurde –, blieb er seinem Ziel treu.

In seinem Wörterbuch und seinen Zeitungen schuf er aus biblischen Verben und Substantiven neue hebräische Wörter für Neuheiten wie Elektrizität, Lokomotiven und Eiscreme sowie abstrakte Begriffe wie etwa Initiative, System und Langeweile. An einem örtlichen Gymnasium, wo er als Lehrer tätig war, begann er, mit seinen Schülern Hebräisch zu sprechen. Bald hallte in Jerusalem zum ersten Mal, seitdem römische Truppen es dem Erdboden gleichgemacht hatten, wieder Hebräisch durch die Straßen.

Das Experiment war dermaßen erfolgreich, dass fünf Jahre später eine komplett hebräische Schule in Rischon Le-Zion, südlich dem heutigen Tel Aviv, eröffnet wurde. Bemühungen, weitere solcher Schulen zu bauen, wurden von skeptischen Eltern zunichtegemacht, die fürchteten, ihre Kinder zur Unwissenheit zu verdammen, wenn sie ihnen statt Deutsch oder Französisch Hebräisch beibrächten.

Dennoch begannen sich hebräische Schulen und Kindergärten zu verbreiten und in den 1930er Jahren waren bereits Tausende von Kindesalter an Hebräisch sprechend erzogen worden.

Im 21.Jahrhundert werden U-Boote auf Hebräisch navigiert.
Heute wird Hebräisch von fast 9 Millionen israelischen Juden und Arabern und von Tausenden weiteren im Ausland gesprochen.

Flugzeuge werden auf Hebräisch geflogen, U-Boote werden auf Hebräisch navigiert, Gehirnoperationen werden in hebräischer Sprache durchgeführt, wissenschaftliche Forschung in nahezu allen Bereichen erfolgt auf Hebräisch, Spielplätze sind erfüllt vom hebräischen Hurrageschrei der Kinder, Fußballstadien sind erfüllt von hebräischen Fanrufen und jedes Jahr erscheinen neue hebräische Romane, Reiseberichte, Kochbücher, Filme, Theaterstücke und Kabaretts und füllen zahllose Buchläden, Kinos und Theater, während hebräische Rockbands die Konzerthallen, Amphitheater und Open-Air-Parks füllen, wo Tausende in eine Vielzahl moderner hebräischer Lieder einstimmen.

Das Hebräische ist so reibungslos in sein Heimatland zurückgekehrt, dass Jesaja, Jeremia oder Batseba, wenn sie heute Abend ins Wohnzimmer einer israelischen Familie marschiert kämen und anfingen zu reden, von den Kindern verstanden würden. Das ist es, was Israelis mit ihrer fernen Vergangenheit verbindet und es war auch das stärkste Bindeglied zwischen den Immigranten und Flüchtlingen, die mit 70 verschiedenen Sprachen in einem kleinen und umkämpften Land eintrafen.

Drei Gehminuten von dem Ort entfernt, an dem Ben-Jehuda die Nächte mit der Arbeit an seinem umfangreichen Wörterbuch verbrachte, ehe er mit 64 an Tuberkulose starb, trägt heute eine belebte Fußgängerzone seinen Namen.

Zu einer Zeit, da nach Angaben der UNESCO die Hälfte der 6.000 Sprachen der Welt vom Aussterben bedroht ist und Bemühungen, Sprachen wie Keltisch, Baskisch und Walisisch wiederzubeleben, nach wie vor beklagenswert flüchtig sind, wird Hebräisch weltweit von etwa 10 Millionen Menschen gesprochen, und das kaum ein Jahrhundert, nachdem es noch für niemanden Muttersprache war.

Die Geschwindigkeit, Intensität und Reichweite der Wiederbelebung des Hebräischen zeigen die Lächerlichkeit gelegentlicher Anschuldigungen auf, der jüdische Staat sei aus dem Nichts auf das Land Anderer gefallen. Man muss kein Hebräisch verstehen, um seine Lebendigkeit zu spüren und zu begreifen, dass die Sprache nicht aus dem Himmel auf ihr Land gefallen, sondern vielmehr unter dessen Steinen hervorgekrochen ist.

Bewahrt durch jüdischen Gottesdienst und Gelehrsamkeit, war das Hebräische wie ein glimmender Funke, den man nur mit wenig Luft anfachen musste, damit er zur Flamme wurde – eine Flamme, die Millionen Hebräisch sprechender Menschen nun Tag für Tag tragen.

Um Jehuda Leib Gordons Frage zu beantworten – sie waren es, für die er sich abplagte.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen www.audiatur-online.ch.

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