Entgegen den Plänen seiner jüdischen Familie wurde der Hamburger Bankierssohn zu einem der wichtigsten Kulturhistoriker Deutschlands 

August 3, 2018 – 22 Av 5778
Aby Warburg, der Bilderdenker

Von Dr. Nikoline Hansen

Wer war Aby Warburg? Der Name dürfte heute wohl nur noch Kunsthistorikern geläufig sein, obwohl er zu seiner Zeit eine außergewöhnliche Erscheinung gewesen sein muss. Heutzutage würde man ihn wohl als Querdenker bezeichnen, denn seine Ideen waren außergewöhnlich, sein Wirken war getrieben von einer Besessenheit, die zwischenzeitlich manische Züge annahm und professionelle ärztliche Begleitung erforderlich machte. Am Ende war er selbst es, der sich mit eisernem Willen wieder der Realität stellte und aus der Irrenanstalt in die Freiheit zurückkehren konnte. Wesentlich zur Produktivität von Aby Warburg trug seine Beschäftigung mit seiner jüdischen Identität bei, derer er sich schämte – sicher auch weil er unter der entsprechenden Diskriminierung litt. So soll er einmal gesagt haben „Im Grunde meiner Seele bin ich Christ“.

Geboren 1866 als Abraham Moritz in Hamburg, wuchs er als ältestes von sieben Kindern des Bankiers Moritz M. Warburg und seiner Frau Charlotte, geborene Oppenheim in einem konservativen jüdischen Elternhaus auf, wobei er sich schon früh gegen die damit verbundenen gesellschaftlichen Zwänge auflehnte. Seinen außergewöhnlichen Berufswunsch Kunstgeschichte zu studieren setzte er gegen alle Widerstände durch, nachdem er schon frühzeitig seine Erstgeborenenrechte an seinen jüngeren Bruder Max abtrat, wie dieser erinnerte. Gegenleistung: Die Zusage, dass er ihm immer alle Bücher kaufen würde, die er bräuchte. Ohne zu wissen worauf er sich einließ, stimmte der damals Zwölfjährige zu. Das Ergebnis dieser Abmachung: Eine kulturwissenschaftliche Bibliothek, die bis zu Abys plötzlichem Herztod 1929 auf 60.000 Bände angewachsen war. Seinem engen Mitarbeiter Fritz Saxl ist zu verdanken, dass die Bibliothek 1933 vor den Nationalsozialisten gerettet wurde. 1944 wurde sie der University of London angegliedert.

Auch wenn Aby Warburg selbst weitgehend in Vergessenheit geriet, sein Erbe ist in die Kulturgeschichte eingeschrieben: So lautet der Untertitel der kleinen Monografie nicht umsonst „Der Bilderdenker“ – Warburg war „Begründer der Ikonologie, also der Lehre vom Bild und seiner (Be-)Deutung, wobei er die Grenzen einer definierten Fachdisziplin stets weit hinter sich ließ“, wie die Autoren im Band 182 der jüdischen Miniaturen einleitend schreiben. Sicher trug dieses Denken über Grenzen hinaus zwar einerseits zu seinen herausragenden Forschungsergebnissen bei, andererseits war es weniger hilfreich gewesen wenn es darum ging nachhaltig erinnert zu werden. Denn, wie die Autoren ausführen, „schließlich gelang es Freud, seine Theorie – wennschon nicht ganz widerspruchsfrei – in die beiden auch als erste und zweite Topikalisier benannten Formen der Metapsychologie zu synthetisieren, während Warburg an genau dieser Aufgabe letztendlich scheiterte“.

Dieses Scheitern war allerdings keineswegs unproduktiv, sondern kann als Symptom einer komplexen und letztlich nicht vollständig zu systematisierenden Welt gelesen werden, denn es führte auch zur Entwicklung neuer Fragestellungen und ordnender Ansätze – zuletzt die unvollendet gebliebene Ordnung des kulturellen Gedächtnisses, ein „Laboratorium der Bildgeschichte“, die ein Mnemnosyne-Atlas werden sollte und aufgrund des frühen Todes unvollendet blieb. So kann auch seine extensive Sammelwut sicher als Versuch gewertet werden, auf diese Weise ein System zum Verständnis des Zerfalls seiner ihm vertrauten Welt zu finden, wie die Autoren schreiben.

Die Biographie des Aby Warburg liest sich spannend und erinnert an einen außergewöhnlichen Menschen, der einen wichtigen Beitrag für die deutsche Kulturgeschichte geleistet hat, dabei persönlich fast zerbrach und vielleicht auch wegen dieser Widersprüchlichkeit, unter der er selbst litt, leider fast in Vergessenheit geriet.

Nicolas Bock, Peter Theiss-Abendroth

Aby Warburg, Der Bilderdenker
94 Seiten Broschur
10 Abbildungen
Hentrich & Hentrich Berlin 2017
ISBN 978-3-95565-148-0 € 9,90

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