Im Rückblick auf sein inzwischen 90 Jahre währendes Leben kann Walter Kaufmann sehr zufrieden sein: Er hat wer weiß wie viele Bücher veröffentlicht, ist mit zahlreichen Literatur-Preisen ausgezeichnet worden - unter denen nicht zuletzt der Heinrich-Mann- und der Theodor-Fontane-Preis (beide 1967 verliehen) herausragen. In seinem zuletzt erschienenen, autobiographisch eingefärbten Buch Schade, dass du Jude bist. Kaleidoskop eines Lebens (Prospero Münster, Berlin, 2013) blickt er noch einmal auf sein abenteuerliches Leben zurück. Vieles davon ist gekennzeichnet durch die Tyrannei des 20. Jahrhunderts. Kaufmanns Bücher in der Tradition der anglo-amerikanischen Short Stories fußen oft auf eigenem Erleben in Europa und Übersee. Dabei behandeln seine Reportagen vor allem die von ihm bereisten Länder USA, Irland und Israel. In Schade, dass du Jude bist reiht Kaufmann autobiographische Geschichten nun auf wie Perlen an einer Kette. Sie führen von seiner Heimatstadt Duisburg weit in die Welt des vergangenen Jahrhunderts und immer wieder zurück in die Gegenwart. Duisburg ist der Mittelpunkt seines jungen Lebens und ist die Stadt geblieben, die für ihn – neben Sydney und Berlin, wo er heute lebt – die größte Bedeutung hat.
Bürgerliche Kindheit
Walter Kaufmann, geboren am 19. Januar 1924 in Berlin, wächst als Adoptivsohn von Sally und Johanna Kaufmann in Duisburg auf. Doktor Sally Kaufmann ist renommierter Anwalt und Vorsteher der lokalen Jüdischen Gemeinde, dem es spä- ter gezwungenermaßen zufällt, die letzten Juden seiner Heimatstadt «auf Transport» zu bringen. Der Junge Walter erlebt in seiner frühen Jugend alle möglichen Diskriminierungen, die ihren Höhepunkt im Novemberpogrom 1938 erreichen. Die Wohnung der Eltern wird verwüstet, der Vater als «Schutzhäftling» nach Dachau verschleppt. Es ist Zeit für den 15-jährigen Walter, mit einem Kindertransport in das sichere England geschickt zu werden, was ihm das Leben retten wird.
Walter Kaufmann ist das uneheliche Kind einer jungen Ostjüdin aus dem Berliner Scheunenviertel. Die ledige Mutter ist nicht in der Lage, ihren Sohn zu versorgen, gibt ihn zur Adoption frei. So erhält das Kind ein Zuhause, kommt in eine gut bürgerliche, vornehme Familie. Erst als Erwachsener beginnt Kaufmann, nach seiner leiblichen Mutter zu forschen. In seinem Roman Im Fluss der Zeit (2010) erzählt er von seinen Begegnungen in der Mulackstraße im Berliner Scheunenviertel, dort wo seine Mutter, Rachela, in einer Kellerwohnung gewohnt hatte. Viel bekommt er nicht über den «Verbleib» der Mutter heraus, aber immerhin, dass er einmal «Jizack Schmeidler» geheißen hatte. Für Walter Kaufmann war es sehr wichtig, dass er bis zum Jahre 1938 – in der Adoptivfamilie - eine wohl behütete Kindheit erleben durfte. Dann aber erfassen sein Leben schwere Brüche und Zäsuren.
Geflohen und interniert
Nur wenige Monate nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wird der Teenager im Mai 1940 von der britischen Polizei als «feindlicher Ausländer» interniert und mit vielen anderen deutschen Juden nach Sydney, Australien, verbracht. 18 Monate verbringt er in Wüstencamps, Holzbaracken, umgeben von Stacheldraht und Wachtürmen.
Er ist siebzehn Jahre alt, als er das Internierungslager verlassen kann. Mit Gelegenheitsjobs schlägt er sich durch und wartet doch nur auf eine Nachricht von den Eltern - bis er erfährt, dass sie im Gas von Auschwitz erstickt sind. Und die Nazis haben ihn längst ausgebürgert. Mit Datum vom 25. November 1941 gilt er als «staatenlos».
Das erzwungene Exil ist zwar schwer, aber als «bitter» hat Walter Kaufmann es nicht empfunden. Er erfährt nun viel Solidarität und lebt sich gut ein, besonders auf See. Der junge Emigrant schlägt sich in Australien mit allen möglichen Arbeiten durchs Leben, meistens im Bereich des Hafens, auf Schleppern und Frachtern. Dann aber auch als Straßenphotograph, Schlachthausarbeiter, Obstpflücker, Docker und lange Jahre als Seemann. Die einfachen Menschen, denen er – zur See und zu Lande – begegnet, outcasts wie er, ihre sozialen Nöte regen ihn zum Schreiben an. Seine Kurzgeschichten, seine realistische Prosa «treffen», wie er sagt, «den Nerv der Zeit».
Von L. Joseph HEID
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