Zum 100. Todestag von Scholem Alejchem, dem „jüdischen Mark Twain“
  

Juni 2, 2016 – 25 Iyyar 5776
A Mensch!

Von Michael Groys


„Wir lachen, um nicht zu weinen“ schrieb Scholem Alejchem einmal über das Schicksal und den Alltag der Juden im zaristischen Russland. Sein gesamtes Lebenswerk kann wohl am besten mit diesem Spruch beschrieben werden. In seinen Geschichten, Erzählungen, Gedichten und Märchen balancierte der scharfsinnige Schriftsteller stets zwischen endloser Trauer und inniger Freude, zwischen Leid und Hoffnung. Die Figuren von Scholem Alejchem wurden so lebendig und detailliert dargestellt, dass man als Leser in seine wundersame Welt des Schtetls eintauchen, sie hören, spüren und sogar riechen konnte. 

Scholem Alejchem wurde 1859 im ukrainischen Perejaslaw bei Kiew als Scholem Rabinowitsch geboren. Er begann schon im sehr jungen Alter kleine Geschichten und satirische Erzählungen in hebräischer und vor allem jiddischer Sprache zu schreiben. Er wählte die jiddische Sprache sehr bewusst, weil sie nah und verständlich für die einfachen Menschen war. Die Liebe zu diesen von schwerem Alltag und Verfolgung geprägten Menschen zieht sich wie ein roter Faden durch all seine Werke. Ein weiteres Wiedererkennungsmerkmal des Schriftstellers mit dem Pseudonym aus der bekannten Schabbat-Hymne „Schalom Aleichem“ (Friede sei mit euch) ist seine humoristische Art. Es wird gesagt, dass er stets mit einem kleinen Schreibblock unterwegs war und immer Notizen machte, die er vermutlich später in seinen Figuren zum Leben erweckte. 

Wer kennt nicht Tevje aus dem amerikanischen Musical „Fiddler on the Roof“ und das Lied „Wenn ich einmal reich wär“? Das Musical und die Verfilmung basieren auf  Scholem Alejchems  vermutlich berühmtesten Werk „Tevje - der Milchman“ aus dem Jahre 1894. Es verschaffte ihm bereits zu Lebzeiten Ansehen in der literarischen Welt. Maxim Gorki sprach von dem jiddischen Schriftsteller und Poeten in höchsten Tönen. Man hatte Scholem Alejchem gerne den „jüdischen Mark Twain“ genannt. Als Twain das hörte, sagte er, er sei dann wohl der amerikanische Scholem Alejchem. Sogar zu Sowjetzeiten wurden seine Werke nicht verboten. Im Gegenteil errichtete man Denkmäler und Theater zu seinen Ehren. Vermutlich nutzte die sowjetische Propaganda  seine kritischen Beschreibungen der zaristischen Zeit und der Unterdrückung der einfachen Menschen. Die Stärkung der jiddischen Sprache als Gegenspieler zum „zionistischen Hebräisch“ war ein weiterer Faktor, warum Scholem Alejchems Lebenswerk in der Sowjetunion gefördert wurde. 

Er selber hatte ein solides Wissen über jüdische Religion und liebäugelte mit der langsam stärker werdenden zionistischen Bewegung, sowie anderen revolutionären Freiheitsgedanken der damaligen Zeit. Der zaristische Antisemitismus und die Pogrome prägten ihn enorm. Umso mehr bemühte er sich den hoffnungslosen Situationen doch noch einen positiven Hauch zu verleihen, was er stilistisch durch eine präzise Anwendung von Satire tat. Tevje, der Milchmann, fragte sich oft, wieso nun Gott die Juden vielleicht nicht in die Schweiz versetzen konnte, statt in die verarmte Ukraine. Die Art seines Humors, die einem nicht selten im Hals stecken bleibt, war aber auch gleichzeitig die einzige Möglichkeit, mit der Gegenwart umzugehen. (...)

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