Zu Besuch bei jüdischen Journalisten in Ungarn
Gutes und Schlechtes für die Juden in Orbans Ungarn  

Februar 8, 2016 – 29 Shevat 5776
Zu Besuch bei jüdischen Journalisten in Ungarn



Von Karl Pfeifer



Die Medien berichteten 2015 ausführlich über Ungarn und es gab auch tendenziöse Berichte, die lediglich Negatives oder Positives zeigten. Deswegen führte ich mit dem Chefredakteur der zweiwöchentlich erscheinenden Zeitung des „Verbandes der jüdischen Gemeinden Ungarns“ („MAZSIHISZ“) ein Interview.

Der 80-jährige Oberrabbiner Peter Kardos ist nicht nur seit Jahrzehnten Gemeinderabbiner im XIV. Bezirk (Zugló) Budapest, der ihn unlängst zum Ehrenbürger ernannte, sondern auch Chefredakteur von „ÚjÉlet“ (Neues Leben). 2014 veröffentlichte er in seinem Buch „Gemischtes aus der Siputca“, das 2015 in zweiter Auflage erschien, eine Auswahl seiner Artikel, Reden und Predigten. Siputca 12 ist die Adresse von MAZSIHISZ und dort befindet sich auch die Redaktion von „ÚjÉlet“, dessen Chefredakteur Oberrabbiner Kardos ein paar Jahre nach der Wende wurde.

Was hat sich seit der Wende bei der Zeitung geändert?

Peter Kardos: Vorher bekamen wir unser Gehalt dafür, was wir nicht geschrieben haben, heute dafür, was wir schreiben. Ein Thema, über das wir in der Regel nicht schreiben durften, war Israel. Ausgenommen natürlich, wenn der Generalsekretär der Israelischen kommunistischen Partei, Meir Wilner, Budapest besuchte. Sehr selten, aber doch, durften wir über linksgerichtete israelische Schriftsteller oder Künstler berichten. 1967 musste „ÚjÉlet“ nicht an der Kampagne gegen den „israelischen Aggressor“ teilnehmen. In anderen Ländern des Blocks wurde das von den jüdischen Gemeinden erwartet. Allerdings, wenn Sie unsere Zeitung aus dem Jahr 1967 in die Hand nehmen, werden Sie feststellen, dass der Sechstagekrieg mit keinem Wort erwähnt wurde. So gab es ein „glückliches“ Treffen der Zensur mit der Selbstzensur.

Gab es damals eine gewisse Autonomie der jüdischen Gemeinden?

Kardos: Obwohl sich die orthodoxe Gemeinde „autonom“ nannte, war sie genauso wenig autonom, wie MIOK, der damalige Verband der jüdischen Gemeinden Ungarns. Dies merkten auch die Leser des Blattes, die auf der ersten Seite aktuelle politische Kommentare und die Erklärung zum Wochenabschnitt in der Bibel lesen konnten.

Wie finanzierte sich MIOK?

Kardos: Damals und noch viele Jahre nach der Wende konnten wir nur mit Unterstützung des Joint unsere Tätigkeiten finanzieren.

Meine Frage, wie viel Exemplare von „ÚjÉlet“ gedruckt werden, wollte Oberrabbiner Kardos mit Berufung auf das Redaktionsgeheimnis nicht beantworten. Hingegen wies er hin auf das Problem, dass manchmal der MAZSIHISZ vorgeworfen wird, nur die paar tausend religiösen Juden zu vertreten, die in den Synagogen beten. „Tatsächlich aber vertreten wir alle Juden Ungarns“, meinte er und das wird auch von den Behörden anerkannt. Die Anzahl der Juden – von denen die meisten in Budapest wohnen – kann nur geschätzt werden, allerdings bekannten sich während der letzten Volkszählung 2011 genau 10.165 Personen als Juden. In Ungarn gibt es keine Kirchensteuern. Jeder Steuerzahler kann ein Prozent seines Steueraufkommens einer Religionsgemeinschaft oder einer gemeinnützigen Vereinigung spenden. 2014 spendeten 7.082 Personen 1 % ihrer Steuern MAZSIHISZ.

Die achtseitige Zeitung können die Leser auch im Internet lesen. In der Ausgabe vom 1. Januar wird über die Chanukka-Feiern 5776 berichtet sowie eine Stellungnahme von MAZSIHISZ zur Absicht der Stadt Székesfehérvár ausgerechnet für einen Antisemiten eine Statue zu errichten. 
Bis Ende 2015 sollte in der Stadt Székesfehérvár eine Bronzestatue zum Gedenken an den antisemitischen Historiker und Politiker Bálint Hóman (1885-1951) errichtet werden, der die Stadt sogar noch im Rumpfparlament des Pfeilkreuzlerregimes vertreten hatte, das 1945 bis zum letzten Moment auf der Seite Hitlers stand. Hóman wurde wegen seiner Zustimmung zum Angriff Ungarns auf die Sowjetunion 1946 als Kriegsverbrecher verurteilt und im März 2015 in Budapest rehabilitiert. Er war einer der Vordenker der ungarischen „Judengesetze“, die zum Teil bereits 15 Jahre vor den Nürnberger Rassegesetzen eingeführt wurden. Als Bildungsminister (1932-1938 und 1939-1942) hatte sich Hóman insbesondere für den Numerus Clausus gegen jüdische Studenten und für die Akzeptanz „der Rassenidee von Hitler und Mussolini“ sowie für ein Gesetz „aufgrund der Rasse“ eingesetzt. Vor dem deutschen Einmarsch befürwortete er die Aussiedlung von Juden und wollte als Abgeordneter des Rumpfparlaments noch im Januar 1945 eine Einheit aller Rechtsextremen erreichen.

Die Statue finanzierten die von der Regierungspartei Fidesz regierte Stadt Székesfehérvár und das Justizministerium, das zum Zeitpunkt der Entscheidung noch von Tibor Navracsics geleitet wurde, der nun EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport ist. Die Statue sollte auf einem nach dem antifaschistischen Komponisten Béla Bartók benannten Platz stehen, geplant war eine feierliche Einweihung am 29. Dezember 2015 zum 130. Geburtstag Hómans. Als dieser sich 1939 gerade mit der Ausarbeitung des zweiten „Judengesetzes“ beschäftigte, schrieb Bartók in einem Brief: „Leider huldigen beinahe alle gebildeten christlichen Menschen fast ausschließlich dem Nazisystem. Ich schäme mich wirklich, dass ich aus dieser Klasse stamme.“

MAZSIHISZ nahm zufrieden den Beschluss der Stadt Székesfehérvár zur Kenntnis, diese Statue doch nicht aufzustellen und hofft, dass eine weitere Rehabilitation dieses berüchtigten Politikers unterbleibt. (...)

Komplett zu lesen in der Druck- oder Onlineausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier für 39 Euro im Papierform abonnieren oder hier ein Onlinezugang zu den 12 Ausgaben für 33 Euro kaufen.


Sie können auch diesen Artikel komplett lesen, wenn Sie die aktuelle Ausgabe der "Jüdischen Rundschau" hier online mit der Lieferung direkt an Sie per Post bestellen oder jetzt online für 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk kaufen.

Brief an die Redaktion schreiben

Soziale Netzwerke