So oft wurden sie erniedrigt, und dennoch sind sie positiv dem Leben zugewandt  

September 9, 2016 – 6 Elul 5776
Warum sind Juden nicht „radikalisiert“?

Von Judith Bergman

Ausgehend von der die allgemeine Debatte beherrschenden Theorie der Radikalisierung durch Deprivation ist der Prozess der Radikalisierung von Muslimen, die Neigung zu Terrorismus und die Entscheidung für einen Eintritt in islamistische Gruppen wie den IS, auf die Erfahrung von Ablehnung und Diskriminierung zurückzuführen.

Diese Theorie beansprucht auf Forschungsergebnissen zu beruhen. Daher ist zu untersuchen, warum sie nicht gleichermaßen anwendbar ist auf Juden, inklusive der Juden, die in Israel leben.

Letztendlich sind 1,5 Milliarden gläubige Muslime verglichen mit 14 Millionen Juden weltweit, keine kleine Minderheit. Außerhalb ihrer Heimatländer, im Besonderen in Europa, sind Muslime vielmehr eine große Minderheit, während Juden zu den kleineren, und mit Blick auf Entfremdung und Rassismus (von muslimischer wie nicht-muslimischer Seite), weit gefährdeteren Minderheiten gehören.

Israel ist selbst in einer „Minderheit“: Der einzige jüdische Staat der Welt befindet sich inmitten einer muslimisch dominierten Region, welche ihm überwiegend feindlich gesinnt ist. Muslimische Staaten arbeiten meist gemeinschaftlich (etwa über die Organisation für islamische Zusammenarbeit OIC mit 57 Staaten, von denen 56 gleichzeitig Mitglied der Vereinten Nationen sind) daran, die kleine jüdische Nation zu bedrängen.

Würden wir der Theorie der Radikalisierung durch Deprivation folgen, müssten die Juden nach dem Holocaust ihre jeweiligen europäischen Aufenthaltsorte fortwährend terrorisieren. Und doch gibt es keine jüdischen Terroristen in Europa.
Obwohl sie herausgegriffen und diskriminiert, verteufelt und entmenschlicht, gedemütigt und in unvorstellbarer Weise gefoltert wurden, in Ghettos gezwungen und grausam in den Tod befördert wurden, haben die Überlebenden des Völkermordes nicht mit Hass oder Mordserien geantwortet. Sie antworteten mit einer unglaublichen Widerstandsfähigkeit und dem Willen aus der Asche wieder aufzustehen und voranzukommen, trotz der Verbrechen, die man an ihnen verübt hat.

Heute begegnen Juden in Europa, und zunehmend auch in den Vereinigten Staaten, im Besonderen an den Universitäten, einem, seit dem Zweiten Weltkrieg in seinem Ausmaß ungesehenen, Antisemitismus.
Sie erfahren zunehmend wachsende, antisemitisch motivierte Gewaltbereitschaft, besonders in Frankreich, wo wirklicher, greifbarer Terrorismus bereits etlichen Juden das Leben gekostet hat.

Und doch kam kein Forscher auf die Idee, diese „Judophobie“ würde zu einer Radikalisierung europäischer oder amerikanischer Juden, etwa an Universitäten, führen.

Auch für Israel gilt: Seit dem 6-Tage-Krieg 1967 erfährt das Land international eine ungerechtfertigte, missbräuchliche Behandlung. Dies gilt im Besonderen mit Blick auf die UN, welche wiederholt Israel aus einem einfachen Grund schmäht: Die arabischen Staaten und ihre Alliierten innerhalb der UN verfügen über ausreichend Mehrheiten, um den jüdischen Staat vorzuführen.

Die internationale Schikane zeigte sich kürzlich wieder während der Olympischen Spiele in Rio. Das libanesische Team hatte sich geweigert, gemeinsam mit israelischen Athleten in einem Bus zu fahren und die aus Saudi-Arabien stammende Judoka, Joud Fahmy, verlor die erste Runde eines Kampfes absichtlich, um die Begegnung mit Israel zu vermeiden.
Nicht das diese Art arabischen Benehmens neu wäre: Im Juni verweigerte der syrische Boxer Ala Ghasoun die Teilnahme an einem Olympia-Qualifikationsboxen gegen den israelischen Gegner, denn diese würde, nach seiner Aussage, die „Anerkennung des Staates Israel“ durch ihn als Sportler und damit als Vertreter des syrischen Staates, bedeuten.

Israel kann sich nicht einem asiatischen Fußballturnier behaupten, und ist damit zur Teilnahme an europäischen Turnieren gezwungen, da viele arabischen Staaten sich weigern, mit Israel in einen sportlichen Wettbewerb zu treten.
Und doch spricht niemand von einer „Judophobie“ bei den Olympischen Spielen. Man stelle sich die Situation mit umgekehrten Vorzeichen vor: Was wäre, wenn ein israelischer Sportler den Wettkampf mit einem Muslim verweigerte?

Diese Unmenge an erfahrener Diskriminierung, weltweit einzigartig, schafft es gleichwohl nicht, aus Israel einen terroristischen Staat zu machen. Im Gegenteil, Israel ist der erster Helfer bei Naturkatastrophen und bietet ungeachtet politischer Beziehungen oft auch jenen die notwendige Hilfe, die meinen jede Gelegenheit gegen Israel nutzen zu müssen. Darüber hinaus setzt Israel einen Großteil seiner Energie im Bereich der Innovation ein, und verschafft damit nicht nur sich, sondern der Welt, Vorteil und Nutzen.

Auch gegenüber Christen, und jenen anderen Gemeinschaften, die unter steter Unterdrückung – meist durch Muslime – leiden, ist die Theorie der Radikalisierung durch Diskriminierung und Deprivation, nicht anwendbar.
Tibeter haben keine Axt schwingenden Mörder hervorgebracht, auch wenn China ihr Land seit über einem halben Jahrhundert besetzt hält. Biafras und andere nicht-muslimische Nigerianer, deren Mitglieder skrupellos von Regierungstruppen, der Boko Haram und den terroristischen Fulani-Gruppen ermordet wurden, haben nicht begonnen, ihre Widersacher zu bombardieren oder zu zerstückeln.

Die herrschende Theorie der Radikalisierung ist unhaltbar. Hätte sie auch nur einen gut begründeten Funken Wahrheit, so würden wir andere Menschen – Nichtmuslime in ähnlicher oder weit schlimmerer Lage - in derselben Art und Weise auf Ablehnung reagieren sehen. Sie tun es nicht, und doch hält sich die Theorie am Leben.

Islamophobie und Diskriminierung sind nicht die Ursache muslimischer Radikalisierung und waren es auch nie. Wenn der Westen den islamischen Terrorismus wirksam bekämpfen will, sollte es diese Tatsache schnell erkennen und verinnerlichen.

Der Artikel von Judith Bergman ist zuerst erschienen auf „Israel Hayom“.

Übersetzung ins Deutsche von Jaklin Chatschadorian.

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