Der Spiegel und sein Bild der israelischen Siedlungen im Wandel der Zeit  

Oktober 5, 2015 – 22 Tishri 5776
Von „Neuzeit-Pionieren“ zu illegalen Menschen

Von Ulrich Sahm

Die israelischen Siedlungen gelten zurzeit in der westlichen Presse und Politik als Kern aller Konflikte in der arabischen Welt. Gäbe es sie nicht, würde himmlischer Frieden von Marokko bis Afghanistan herrschen.

Hunderttausende Syrer, Iraker, Ägypter und Jemeniten wären noch am Leben und Europa müsste sich nicht mit Flüchtlingsmassen plagen. Da der „Spiegel“ nicht müde wird, den siedelnden jüdischen Sündenbock an die Wand zu malen, bot sich an, das Archiv dieser Zeitschrift nach der Wurzel des Übels zu durchforsten.

Es geht bei diesem Artikel keineswegs darum, den rechtlichen oder politischen Status der Siedlungen zu klären. Vielmehr soll hier der Wandel in der Wahrnehmung der Siedlungen dargestellt werden, im Wesentlichen anhand des öffentlich zugänglichen Archivs des „Spiegel“.

Die ersten Siedlungen interessierten niemanden

Im September 1967, wenige Monate nach dem Sechs-Tage-Krieg , gründeten Israelis in Kfar Etzion die erste Siedlung in den frisch eroberten Gebieten. Im Etzion-Block hatten vor der Staatsgründung 1948 Juden in mehreren Dörfern auf legal gekauftem Land gelebt. Doch die Jordanier hatten sie bei blutigen Schlachten vertrieben. Nun wollten die ehemaligen Siedler und ihre Nachkommen heimkehren. Keine deutschsprachige Zeitung bemerkte diesen ersten Schritt zur späteren Siedlungspolitik.

Ähnlich ging Rabbi Mosche Levinger beim Pessach-Fest 1968 vor. Er mietete sich im Park-Hotel ein, um in Hebron , der Stadt der Erzväter , zu bleiben. Bei Pogromen waren 1929 alle Juden aus der Stadt Hebron vertrieben worden, in der sie fast 3.000 Jahre lang ununterbrochen nahe den Gräbern des Abraham und biblischer Erzväter gewohnt hatten.

Diese Neubesiedlung im ehemaligen jüdischen Viertel der arabischen Großstadt Hebron löste in Israel Kontroversen und Demonstrationen aus. Interessant sind die Begriffe, die „Der Spiegel“ am 27. Mai 1968 veröffentlichte. Was das Wochenmagazin heute als „illegale Siedler“ bezeichnet, hieß damals: jüdische Pilger, Israelis, Pilger-Stoßtrupp, Parkhotel-Bewohner, strenggläubige Juden, Ansiedler, Eindringlinge, israelischen Pioniere, wilde Hebron-Siedler, Hebron -Pioniere.

Bewunderung für die Leistungen der Pioniere

In den Jahren danach werden Siedlungen immer wieder erwähnt, etwa bei Politikertreffen. Verständnisvoll spricht man vom Sicherheitsgürtel israelischer Wehr-Siedlungen. 1970 heißt es im „Spiegel“: „Den acht Pionieren vom ‚Kibbuz Golan‘ folgten inzwischen Tausende weitere Kibbuzniks in die 1967 von Israel eroberten Gebiete. Heute siedeln Israelis bereits in 14 Dörfern auf den Golan-Höhen, neun Wehrdörfer baute Israel in Westjordanien, fünf Siedlungen gründeten die Israelis in den letzten drei Jahren auf der ehemals ägyptischen Sinai-Halbinsel.“

Strategische, geopolitische und wirtschaftliche Motive veranlassten Israels Regierung nach dem Sechs-Tage-Krieg , in den eroberten Gebieten Wehrsiedlungen anzulegen. „Je mehr Siedlungen in strategisch wichtigen Gebieten begründet werden“, proklamierte Vizepremier Jigal Allon, „umso eher sind wir künftig in der Lage, sichere Grenzen zu errichten.“ Mosche Dajan spricht gern von „neuen Tatsachen“, die mit den Wehrdörfern geschaffen würden, von „Israelisierung“ eroberter Gebiete. Und so berichtet der „Spiegel“ ohne Erwähnung eines „Völkerrechts“ und ohne auch nur ansatzweise von „Illegalität“ zu sprechen:

„In kurzer Zeit entwickeln sich dann die Siedlungen der Neuzeit-Pioniere zu florierenden Unternehmen: Landwirtschaftliche Erzeugnisse im Wert von 4,5 Millionen Mark verkauften die Dörfler auf den Golan-Höhen im vergangenen Jahr. Nach einem Fünf-Jahres-Plan sollen dort bis 1975 etwa 3.500 weitere Israelis in 17 Dörfern angesiedelt werden. Drei städtische und zwei weitere Touristik-Zentren im Gesamtwert von 300 Millionen Mark sind geplant“, heißt es in dem Magazin.

Der „Spiegel“ geht auch auf die Produktion ein: „Das Nachal Dikla und das Nachal Sinai am Golf von Suez produzieren Wintergemüse, das bis nach Frankfurt und Zürich geflogen wird. Der Nachal Jam an der Bardawill-Lagune auf der Sinai-Halbinsel fing letztes Jahr 600 Tonnen Fische. Im salzhaltigen Jordantal züchten israelische Forscher Fische, die in bestimmten Salzwasser-Konzentrationen leben können. Letzte Woche weihten die Israelis am Toten Meer sogar ein Thermalbad ein — genau an der Stelle, wo vor fast 2.000 Jahren römische Legionäre kurten. Die Wehrsiedlungen im Jordantal, oft nur einige hundert Meter von der Front entfernt, sind längst keine Provisorien mehr; sie sehen eher aus wie Musterfarmen: mit Blumenbeeten um die luftgekühlten Wohnhäuser, mit Swimming-Pool und modernsten Traktoren.“

Positive Darstellung – bis 1979

Bemerkenswert ist hier nicht nur die durchweg positive Darstellung der Siedlungen. Die „Spiegel“-Autoren scheinen die „Neuzeitpioniere“ für ihren Fleiß zu bewundern. Und ganz nebenher wird da erwähnt, dass es offensichtlich auch keinerlei Widerspruch in Europa gab. Wie selbstverständlich wird der Export der Siedlungswaren nach Zürich und Frankfurt erwähnt. Wohl zum Ausgleich werden da kurz Proteste in Israel erwähnt: „Der Kabinettsbeschluss erregte nicht nur die Araber, sondern auch linke Israelis. Der sozialistische Abgeordnete Uri Avnery sah darin ‚ein Manöver gegen den Frieden‘. Vor dem Haus von (Ministerpräsidentin) Golda Meir demonstrierten Studenten mit Slogans wie ‚Entweder Frieden oder Ansiedlung‘ und ‚Sicherheit — ja; Annexion — nein‘.“ (...)

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