Ein Südtiroler Heimatbuch  

Januar 4, 2016 – 23 Tevet 5776
„Mörderische Heimat“

Von Karl Pfeifer

Wie das Nachbarland Österreich so hat sich auch das deutschsprachige politische Establishment Südtirols als Opfer des Nationalsozialismus sehen wollen und jede NS-Mittäterschaft geleugnet. Daher gebührt Joachim Innerhofer und Sabine Mayr Dank dafür, dass sie sich die Mühe machten, zu dokumentieren, welches bittere Schicksal Südtiroler Juden erlitten haben.

Treffend bemerkt Peter Turrini in seinem Vorwort: „Was man Österreicher nennt, ist ein europäisches Gemisch gleichen Namens. Eine Promenadenmischung, die den Glücksfall ihrer Mischung nicht wahrhaben will und sich immer wieder als deutscher Schäferhund ausgibt. Man stelle sich das einmal bildlich vor, eine Promenadenmischung setzt sich die Ohren eines Schäferhundes auf und bellt großdeutsch. Das macht die österreichischen Fremdenhasser so lächerlich und unberechenbar.“ Und er bringt es auf den Punkt: „Was soll die theoretische Frage an uns selbst, ob wir im Jahre 1939 feige oder mutig gewesen wären, wo die Frage doch nur lauten kann, ob wir heute feige oder mutig sind.“

Südtirols Opfer der Schoah wurden von italienischen Faschisten observiert und ausgewiesen, sowie großteils von einheimischen deutschsprachigen Nationalsozialisten verfolgt, ausgeraubt und deportiert. Nach 1945 weigerte man sich, Überlebende für ihre materiellen Verluste zu entschädigen. Die Erinnerung an die Opfer wurde verdrängt. Innerhofer und Mayr dokumentieren die vielseitigen Äußerungsformen des in Südtirol tief verwurzelten Antisemitismus. Südtirols Juden hatten ihre Heimat geliebt und wichtige Beiträge in der Medizin, Wirtschaft und im Tourismus geleistet. Das Aufzeigen der Spuren jüdischen Lebens in der Geschichte Südtirols lässt ihnen eine späte Anerkennung zuteilwerden.

Das 468 Seiten umfassende Buch beinhaltet „verdrängte Lebensgeschichten jüdischer Familien in Bozen und Meran“, aufgeteilt in die Teile „Zedaka im Traubenkurort“, „Rassisch verfolgt und deportiert“, „Direktorinnen, Präsidenten und Pioniere“, „Kaufleute und Geschäftsführer“, „Unbekannte Unternehmerinnen“, „Ärzte und Kurärzte“, „Rechtsanwälte im Visier des Unrechts“ und „Heimatrecht abgelehnt…“

Hier eine Kostprobe aus diesem Buch: Am 10. April 1920 schrieb Franz Kafka in einem Brief an Max Brod und Felix Weltsch über das Hotel Emma [in Meran]. „Bisher habe ich in einem der ersten Hotels gewohnt oder vielleicht überhaupt in dem ersten, denn die andern gleichrangigen sind geschlossen. Die Gäste waren einige vornehme Italiener, dann noch ein paar andere Eindringlinge, der große Rest Juden, zum Teil getauft.“

Im selben Brief berichtet Kafka auch über seine Begegnung mit SabetayGabay: „Dort war Zum Beispiel ein türkisch-jüdischer Teppichhändler, mit ich meine paar hebräischen Worte gewechselt habe, ein Türke an Gestalt, Unbeweglichkeit und Frieden, ein Duzfreund des Konstantinopler Großrabbiners, den er merkwürdigerweise für einen Zionisten hält.“
Während der gemeinsamen Mahlzeiten gaben pensionierte Offiziere aus Deutschland und Österreich in der Ottoburg antisemitische Äußerungen zum Besten. Man sprach „von jüdischer Lumperei, Frechheit, Feigheit“, schreibt Kafka Anfang Mai 1920 in einem Brief an Max Brod, „lacht […] dabei mit einer gewissen Bewunderung und entschuldigt sich nachher auch noch bei mir, nur den jüdischen Sozialisten und Kommunisten verzeiht man nichts, die ertränkt man in der Suppe und zerschneidet man beim Braten.“ (...)

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