Londons Ex-Bürgermeister fliegt aus der Labour-Partei  

Mai 11, 2016 – 3 Iyyar 5776
Labours antisemitische Krise

Von Jerome Lombard

Das Lachen sollte ihm und vielen Labour-Politkern an diesem 28. April gehörig vergehen: Ken Livingstone, Vertreter des linken Flügels der britischen Labour Party und langjähriger Freund von Parteichef Jeremy Corbyn, ist aus seiner Partei ausgeschlossen worden. Der 70-Jährige habe Labour öffentlich „in Misskredit gebracht“ und müsse sich nun vor einem parteiinternen Untersuchungsausschuss verantworten, hieß es.

Der dahinterstehende und für die britischen Sozialdemokraten sicher nicht ganz neue Vorwurf: Antisemitismus in den eigenen Reihen. Corbyn und die Labour-Führung sahen sich zu dem drastischen Schritt des Parteiausschlusses gezwungen, nachdem Livingstone mit antisemitischen Kommentaren während eines Radiointerviews mit BBC London aufgefallen war. In dem per Telefon geführten Interview hatte Livingstone Hitler und Zionisten in einem Atemzug genannt und eine Gleichsetzung nahegelegt.

„Lassen Sie uns in Erinnerung rufen; als Hitler die Wahlen 1932 gewann, war es seine Politik, die Juden nach Israel zu bringen. Er unterstützte den Zionismus – bevor er verrückt wurde und am Ende sechs Millionen Juden ermordete,“ sagte Livingstone gegenüber einer Moderatorin des öffentlich-rechtlichen Senders in der englischen Hauptstadt und fügte sogleich hinzu, dass er niemanden in seiner Partei kenne, der sich jemals antisemitisch geäußert habe. Welch Ironie! Wollte Livingstone, der von 2000 bis 2008 ein durchaus populärer Bürgermeister von London war und wegen seiner ultralinken Weltsicht in Großbritannien allseits als „Red Ken“ bekannt ist, doch eigentlich seine Parteikollegin und nur tags zuvor ebenfalls wegen antisemitischer Ausfälle aus der Partei geworfene Parlamentsabgeordnete Naz Shah verteidigen. Dieses Unterfangen ging aber mal ganz gehörig in die Hose. Am Ende des Tages stand fest: Livingstone muss unter seine Labour-Parteimitgliedschaft unfreiwillig einen Strich setzen und die Sozialdemokraten stehen im Epizentrum eines Skandals um Antisemitismus und Antizionismus.

Dass Labour sich damit selber in eine neuerliche Krise manövriert hat, war führenden Parteipolitikern noch am selben Tag klar. Da half es auch nichts, dass Corbyn diesen Umstand gegenüber der Presse wegzudiskutieren versuchte. „Das ist keine Krise. Es gibt auch keine Krise. Wo auch immer es Rassismus innerhalb der Partei gibt, wird dagegen angegangen und er wird ausgerottet. Jeder, der glaubt, die Partei unternehme nicht genug gegen Antisemitismus, liegt einfach falsch“, erklärte der Parteivorsitzende gegenüber der BBC sichtlich genervt. Corbyn verteidigte den Rausschmiss seines alten Parteifreunds Livingstone wegen „schwerwiegender Bedenken über die verwendete Sprache“, die dieser in besagtem Interview gebraucht habe. Freilich ohne Livingstone damit direkt des Antisemitismus zu bezichtigen.

Dass es bei Labour gehörig brodelt, konnte man an den Reaktionen führender Parteivertreter zur Causa Livingstone ablesen. Entsprechend deutlich fiel die Kritik an dem schon in der Vergangenheit immer mal wieder mit israelfeindlichen und zumindest latent antisemitischen Äußerungen aufgefallen Politiker aus. Sadiq Khan, Labour-Kandidat fürs Londoner Bürgermeisteramt bei den Wahlen am 5. Mai, bezeichnete Livingstones Aussagen als „schrecklich und unentschuldbar“ und forderte ihn sogleich zum Austritt auf. Am lautstärksten äußerte sich Labour-Parlamentarier John Mann. Und was der von Livingstone und dessen Kommentaren hielt, sagte er diesem direkt und unverblümt in der Vorhalle der TV-Studios von Westminster ins Gesicht, wo Livingstone noch am selben Tag zu einer weiteren Talk-Runde geladen war: „Sie sind ein widerlicher Rassist, der die Geschichte neu schreiben will“, schimpfte Mann vor laufenden Fernsehkameras und nannte Livingstone einen „Nazi-Apologeten“. Starke Worte. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Mann und Livingstone eigentlich Parteikollegen sind. Beziehungsweise waren. Livingstone selber verteidigte seine Aussagen im Nachhinein. Er habe niemals nahelegen wollen, dass Hitler ein Zionist gewesen sei und lediglich „historische Fakten“ genannt. Im Übrigen sei er Opfer einer undemokratischen Schmierenkampagne geworden, die von der „Israel-Lobby“ gegen seine Person und andere sogenannte Israel-Kritiker innerhalb der Partei initiiert worden sei.

Corbyns Labour und der Antisemitismus
Die jetzt entbrannte Diskussion um Antisemitismus und Israelfeindschaft in den eigenen Reihen kommt für Labour zur Unzeit. Anfang Mai stehen in Schottland, Wales und in vielen englischen Grafschaften Lokalwahlen an. In London kommt die wichtige Bürgermeisterwahl hinzu. (…)

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