„Wer einen Juden im Flur hat, hat Geld in der Tasche“, besagt ein Sprichwort in Polen.  

Oktober 7, 2016 – 5 Tishri 5777
Jüdische Geldmännchen als polnische Souvenirs

Von Agata Wojcieszak

Deswegen boomen in Polen Figuren von alten Männern mit in dunklem Gewand, mit Bart und großer Nase. Aber steckt hinter dem Glücksbringer wirklich nur Tradition oder auch Antisemitismus?

Bernstein, Puppen in farbenfroher Tracht, weiß-rote Magnete mit polnischem Adler und Schnapsgläser – in der polnischen Hauptstadt gibt es an jeder Ecke die üblichen Souvenirs. Sie sind nicht selten kitschig und etwas überteuert. Mariola Rossa verkauft sie alle an ihrem Stand am alten Warschauer Stadttor. Doch wer genauer hinschaut, entdeckt noch weitere Souvenirs: kleine Männerfiguren in dunklen Kleidern, mit schwarzen Bärten, Schläfenlocken und großen Nasen. Unverkennbar: das Klischeebild osteuropäischer Juden. Manche von ihnen halten eine Münze in den Händen.

„In Polen gibt es ein Sprichwort: Wer einen Juden im Flur hat, hat Geld in der Tasche“, erklärt Rossa. Tatsächlich ist der Jude als Glücksbringer – sei es als Holzfigur, Magnet oder Bild – in Polen beliebt. Wer ein Bild von ihm zu Hause hat und es ganz richtigmachen will – so der Brauch – hängt es kopfüber an die Wand, damit dem Juden das Geld aus der Tasche und den Hausbewohnern in die Hände fällt. Die Inhaberin des Verkaufsstandes in der Nähe der Stadtmauer sieht in diesem Brauch einen Beweis dafür, dass die Polen die Juden lieben: „Wenn sie sie nicht leiden könnten, würden sie sich die Figuren doch nicht ins Haus stellen“, so ihr Argument.

Warum es ein Beweis für Sympathie sein soll, wenn ein Volk mit ihren negativsten Eigenschaften dargestellt wird, das kann Krystyna Budnicka nicht nachvollziehen. Hierin sieht die Warschauerin, die selbst jüdische Wurzeln hat und den Holocaust überlebte, einen wesentlichen Unterschied zu den Puppen in polnischen Trachten: „Sie entsprechen auch Klischees, gelten in der Regel aber als positiv, höchstens als amüsant.“ Vielleicht kann man es damit vergleichen, wenn Bilder und Figuren von Polen verkauft würden, die beim Autoklauen abgebildet sind. Budnicka weiß aber auch, dass viele Polen „es gar nicht böse meinen“. Für sie gehören die Figuren zur Tradition genauso wie die Tatsache, dass Polen und Juden eine gemeinsame Geschichte haben, zu der Phasen von Toleranz genauso wie solche von Ausgrenzung gehörten. Ihr Ende fand sie, als die Nationalsozialisten in Polen einfielen. Sie vernichteten fast das gesamte jüdisches Leben und damit eine ganze Kultur, die bis dahin zu Polen gehört hatte.

Allein in Warschau waren bis 1939 30 Prozent der Bevölkerung Juden. Die Erinnerung an jenes jüdische Leben, wie es einst war, will Ryszard Kucharski wachhalten. Seit Jahren schon schnitzt, bemalt und verkauft der pensionierte Soldat unterschiedliche Figuren, „darunter viele mit Bart“, wie er sagt. Er könne ein Buch über die Anschuldigungen schreiben, denen er ausgesetzt wird. „Manche sehen in mir einen Judenfeind“ erzählt er, „aber es gibt auch immer wieder Rechte, die mir drohen.“ Sie sehen in den Figuren jüdische Propaganda und drohten Kucharski, ihm „dafür die Fresse zu polieren.“ Dabei wolle er keine politischen Aussagen treffen, sondern lediglich seine Kunst verbreiten. (…)

Komplett zu lesen in der Druck- oder Onlineausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier für 39 Euro im Papierform abonnieren oder hier ein Onlinezugang zu den 12 Ausgaben für 33 Euro kaufen.


Sie können auch diesen Artikel komplett lesen, wenn Sie die aktuelle Ausgabe der "Jüdischen Rundschau" hier online mit der Lieferung direkt an Sie per Post bestellen oder jetzt online für 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk kaufen.

Brief an die Redaktion schreiben

Soziale Netzwerke