Antisemitische Aggressionen in französischen Schulen  

November 4, 2015 – 22 Heshvan 5776
Ein Blick in die deutsche Zukunft?

Von Karl Pfeifer

2002 erschien in Paris das Buch „Die verlorenen Gebiete der Republik“ (Les territoires perdus de la République), in dem aggressiver Antisemitismus in den öffentlichen Schulen dokumentiert wurde. Es gab kein nennenswertes öffentliches Echo und auch nach der zweiten Auflage 2004 reagierten die französischen Medien kaum. Im Vorwort lieferte der Historiker George Bensoussan, damals unter dem Pseudonym Emmanuel Brenner, auf 92 Seiten den detaillierten Nachweis, was alles in französischen Schulen geschehen konnte.

Hier nur zwei Fälle. Am 27. und 28. Juni 2002 musste eine kleine Gruppe von Schülern aus jüdischen Schulen in einer Pariser öffentlichen Schule im 20. Arrondissement Prüfungen ablegen. Als diese Schüler dann die Schule verließen, wurden sie von ungefähr 20 Jugendlichen, fast alle magrebinischen Ursprungs umringt und zuerst verbal angegriffen („Sales youpins“, schmutzige Juden), dann wurden die jüdischen Schüler blutig geschlagen und ein Schüler musste wegen Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Auch darüber wurde nicht berichtet und die Direktorin der Schule verharmloste den Fall. Die jüdischen Schüler, die von ihren muslimischen „Kameraden“ geschlagen wurden, sind nicht mehr zu den darauffolgenden Prüfungen gekommen.
Andere jüdische Schüler konnten nur mit Polizeieskorte die Prüfungen dort absolvieren. Fünf der Missetäter gestanden geprügelt zu haben. Als dann der Vater einer jüdischen Schülerin, damit drohte, die Schule in Brand zu setzen, wenn man „seiner Tochter ein Haar krümmt“, wurde er gerichtlich angeklagt. Hingegen hat das gleiche Gericht die Täter nicht zur Verantwortung gezogen und das Verfahren wegen Körperverletzung eingestellt.

„Jüdische Hündinnen, youpine, Du bist eine Hure, außerdem jüdisch“, dies waren nur ein paar der Beleidigungen, die 15-jährige Zwillingsschwestern, Schülerinnen im Pariser Bergson-Gymnasium (19. Arrondissement) umringt von einem Dutzend Mitschüler 40 Minuten lang ertragen mussten. Ihre Gesichter und Kleider wurden mit Käse beschmiert, weil „Juden stinken“ und von einer der Schwestern wurde verlangt, sie solle sich hinknien und um „Entschuldigung bitten, jüdisch zu sein“. (…)
Nach dem Mord an vier Juden im koscheren Supermarkt behauptete Dominique Vidal in „Le Monde diplomatique“ (Februar 2015), es handle sich lediglich um ein „kurzes Aufflackern“. Der Titel seines Artikels „Ein heftiger, doch marginaler Antisemitismus“ hat es in sich. Er nimmt wahr, dass seit 2006 in Frankreich neun Juden ermordet wurden, ohne die Opfer des jungen Franzosen Mehdi Nemmoche mitzuzählen, der im jüdischen Museum in Brüssel im Mai 2014 vier Menschen ermordete. Vidal erkennt auch an, dass es mehr antisemitische Ausschreitungen gibt. Doch er verharmlost.

Dominique Vidal ist sich sicher: „Der Antisemitismus als Geisteshaltung ist nicht sehr verbreitet.“ Im Übrigen resümiert er, wird dieser nur so „empfunden“. In der gleichen Woche, am 6. Februar 2015, veröffentlichte der Philosophielehrer Sofiane Zitouni in der Tageszeitung „Liberation“ einen Artikel „Weshalb habe ich an der Mittelschule Averroès gekündigt“. Er hatte bereits am 15. Januar 2015 einen Artikel in „Liberation“ unter dem Titel „Der Prophet ist auch Charlie“ publiziert. Deswegen wurde er gemobbt, was ihn bewog, diese staatlich subventionierte muslimische Schule zu verlassen. Zitouni erklärte: „Zuallererst das immer wiederkehrende und zwanghafte Thema, die Juden… in meiner mehr als zwanzig Jahre dauernden Karriere im schulischen Milieu habe ich nie zuvor so viele antisemitische Aussprüche aus dem Mund von Schülern gehört wie in dieser Mittelschule! Eine Schülerin wagte es eines Tages zu behaupten, dass „die jüdische Rasse eine von Allah verfluchte Rasse ist! Viele islamische Wissenschaftler sagen das!“ Dieser fast „kulturelle“ Antisemitismus einer Anzahl der Averroès-Schüler hat sich selbst als ich einen Kurs über den Philosophen Spinoza gab manifestiert: Einer von diesen hat mich unumwunden gefragt, weshalb ich in meiner Einleitung nicht präzisierte, dass dieser Philosoph Jude war. Implizit hat man verstanden, dass das Wort „Jude“ für ihm ein Problem bedeutete.“

Von vielen Linken wird nur der Antisemitismus wahrgenommen, der vom Neonazi oder Rechtsextremisten kommt, und wer es wagt auf den Antisemitismus hinzuweisen, der aus linken und islamischen Kreisen kommt, dem wird vorgeworfen, die Geschäfte der Marine le Pen zu betreiben. Tagtäglich wird die arabische Welt im Fernsehen antisemitisch bearbeitet und diese Sendungen werden auch in Europa konsumiert. Doch wenige kennen diese Realität und noch weniger Menschen sind bereit dies zur Kenntnis zu nehmen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Das schlechte Gewissen, das mit der Kolonialgeschichte und dem Krieg in Algerien zu tun hat, oder auch die bewusst hingenommene Blindheit, was die neuen kulturellen und sozialen Realitäten in Frankreich betrifft.

Bensoussan schreibt: Wir konnten sehr schnell feststellen, dass zahlreiche Leiter von Schulen bevorzugten sich zu arrangieren, „um keine Unannehmlichkeiten“ zu haben. Sie waren auch besorgt um den Ruf ihrer Institutionen, aber auch um ihre Karriere und ihre Beförderung. Viele haben die Vorfälle dem Unterrichtsministerium nicht gemeldet. (…)

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