Wolodymyr Grojsman begann als gewissenhafter Bürgermeister  

Mai 11, 2016 – 3 Iyyar 5776
Die Ukraine hat jetzt einen jüdischen Ministerpräsidenten!

Von Dmitri Stratievski

Am 14. April 2016 wurde der 38-jährige Wolodymyr Grojsman von der Werchowna Rada zum 16. Regierungschef der unabhängigen Ukraine gewählt. Dabei konnte er 61 Prozent der Abgeordnetenstimmen auf sich vereinen. Die Parlamentsmitglieder votierten für den noch vor zwei Jahren international unbekannten Politiker. Der Ministerpräsident bekräftigte in seiner hochemotionalen Antrittsrede, dass er „das Vertrauen in die Regierung wiederherstellen“ wolle, und prangerte alle Politiker an, die „innerhalb von 24 Jahren keine Möglichkeit für die Menschen geschaffen haben, menschenwürdig zu leben“. Zum Schluss behauptete Grojsman selbstbewusst: „Ich werde euch zeigen, wie man regiert!“

Wer ist eigentlich dieser Grojsman?
Winniza, eine zentralukrainische Gebietshauptstadt mit gegenwärtig 370.000 Einwohnern, gilt am Ende des 19. Jahrhunderts als Hochburg des Judentums in der Region. Laut der gesamtrussischen Volkszählung von 1897 bildeten hier die Juden 36 Prozent der Stadtbevölkerung. Das jüdische Viertel hieß im Volksmund „Jerusalem“. Der Schtetl Berschad bei Winniza war einer der bedeutenden Chassidismus-Zentren in Osteuropa. In diesem Schtetl lebte Rabbi Raphael, Schüler von Rabbi Pinhas von Korzec, der ein hohes Ansehen auch in der nichtjüdischen Nachbarschaft genoss. Im 20. Jahrhundert erlebte das jüdische Winniza zwei Schicksalsschläge: Die Verfolgung nach der Etablierung der Sowjetmacht und die beinahe totale Vernichtung während der deutschen Besatzung. 1930 wurde die letzte Synagoge der Stadt geschlossen. Der Oberrabbiner El Kordonski sorgte für die Gebete im Untergrund. Als die Wehrmachtstruppen im Juli 1941 Winniza erreichten, versuchte dieser 80-jährige deutschsprachige Intellektuelle mit den Deutschen zu verhandeln. Im September 1941 töteten die Nazis fast alle Bewohner der Winnizker Ghettos, etwa 28.000 Menschen. Die letzten 150 Juden der Stadt wurden im August 1942 erschossen. Überlebt haben nur diejenigen, die zum Zeitpunkt des deutschen Einmarsches an der Front, im Hinterland oder in einem Partisanenverband waren. Nach dem Krieg übersiedelten viele Juden aus anderen ukrainischen Regionen nach Winniza. So lag 1959 der jüdische Bevölkerungsanteil bei immerhin 16 Prozent. Die örtlichen sowjetischen Machthaber waren für die damaligen Verhältnisse relativ liberal. In der Stadt gab es sogar eine Synagoge. In den 70er Jahren verschärfte sich jedoch nach dem entsprechenden Befehl aus Moskau die Verfolgung der ausreisewilligen Juden. 1971 wurde der Anführer der Dissidentenbewegung Itzhak Schkolnik wegen angeblicher „Spionage für Israel“ zu 10 Jahren Lagerhaft verurteilt.

Doch diese antisemitische Kampagne verlor schnell an Boden. Ein besonderes gesellschaftspolitisches Klima in der Stadt, eine friedliche Koexistenz von Ukrainern und Juden prägte entscheidend die Reformbestrebungen der 80er Jahre. Die ukrainische Emanzipation Winnizas war im Gegensatz zu denen in anderen Regionen der Ukraine nicht nationalistisch gefärbt. 1992 wurde Dmitri Dworkis als landesweit erster Jude zum Bürgermeister der Stadt gewählt. Dworkis bekannte sich zum Judentum und trug öffentlich den Davidstern.

Vor dem Hintergrund dieser doppelten jüdisch-ukrainischen Identität ist Grojsmans Gang in die Politik sowie seine spätere politische Handschrift zu verstehen. 2009 erzählte er im Interview mit „Radio Liberty“ von der jüdischen Abstammung seiner Eltern, betonte aber zugleich, dass seine Frau Ukrainerin sei und die ethnische Herkunft keine Rolle in der Politik spielen solle. Als Bürgermeister Winnizas pflegte Grojsman enge Kontakte zur israelischen Politik und Geschäftswelt. 2012 eröffnete der israelische Außenminister Avigdor Liebermann im Beisein des damaligen Wirtschaftsministers Petro Poroschenko ein modernes, auf Kosten Israels errichtetes medizinisches Forschungszentrum in der Stadt. „Unsere Hilfsprojekte laufen in vielen Ländern der Welt. Ich habe noch nirgends so ein hohes Maß an Sympathie und Freundlichkeit gegenüber unserem Staat verspürt wie in Winniza“, so Liebermann. Darüber hinaus zog Grojsman private Investitionen von jüdisch-schweizerischen Geschäftsleuten für seine Stadt heran. (…)

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