Was bedeutet die aktuelle Zuwanderung für die Juden Europas?  

Oktober 5, 2015 – 22 Tishri 5776
Die Juden und die Zuwanderung

von Alex Joffe

(mit freundlicher Genehmigung von www.audiatur-online.ch)

Nur wenige Bilder haben solche Veränderungen ausgelöst wie jenes der an einen Strand gespülten Leiche eines kleinen kurdischen Jungen. Über Nacht wandelte sich die Haltung der Europäer; hatten sie eben noch starr den Blick von der Zuwanderungskrise abgewandt, gab es nun kollektive Wut und ihre jeweiligen Regierungen reagierten. Diese Reaktionen sind lehrreich, steckt in ihnen doch das Europa des letzten Jahrhunderts, während sie gleichzeitig das neue formen und dabei Hinweise zur Lösung einiger alter Probleme liefern.

Doch erst einmal muss eine Frage gestellt werden: Warum eigentlich waren die Europäer nicht von dem seit vier Jahren andauernden syrischen Bürgerkrieg erschüttert, von den Fassbomben und chemischen Waffen des Assad-Regimes oder von den medienwirksamen Enthauptungen des Islamischen Staates sowie dessen Wiedereinführung der massenhaften Sklaverei und den Vergewaltigungen? Lediglich die Beteiligung europäischer Bürger, von denen immer wieder einige aus Syrien zurückkehren, um in Europa Massaker zu verüben, hat unter den europäischen Regierungen und der Bevölkerung Besorgnis ausgelöst.

Die Antwort auf diese Frage ist ziemlich offensichtlich und hat ganz und gar mit der Kultur zu tun. Seit 1945 hatte es sich Europa unter der amerikanischen Sicherheitsdecke so gemütlich gemacht, dass die große Mehrheit der Europäer keinerlei Erfahrung mit Krieg hat. Die europäischen Institutionen haben Generationen von Europäern so sozialisiert, dass sie nicht einmal mehr in der Lage sind, in einem Konflikt Angreifer und Verteidiger oder Gut und Böse zu unterscheiden. Wenn sie das könnten, wenn sie mehr wahrnähmen als nur Grautöne, dann könnten sie sich zu Handlungen gezwungen sehen. Womöglich gar zum Krieg.

Viele Europäer verstehen, wenn sie Krieg sehen, nicht, was dort passiert. Eine Intervention zur Verhinderung oder Beendigung von Krieg oder zur Bekämpfung der Ursachen von Krieg, Flucht und Migration liegt jenseits ihres Vorstellungsvermögens und ihrer Fähigkeiten. Heute sind Großbritannien und Frankreich ohnehin die einzigen Länder, die überhaupt über ernsthafte militärische Kapazitäten verfügen. Seit dem Ende des Kalten Krieges wurden die militärischen Mittel geflissentlich immer weiter reduziert, um zukünftige Handlungsoptionen zu beschränken.

Gleichzeitig betrachten die meisten Europäer sich selbst als humanitäre Wohltäter, eine moralisch befriedigende Rolle, die ausgewählten Anderen die Rolle von Opfern zuweist. Die derzeitige Unfähigkeit, zwischen Kriegsflüchtlingen und Wirtschaftsmigranten zu unterscheiden, spricht somit Bände. Jene werden willkommen geheißen und letztere einfach umbenannt, was ein altes Problem auf oberflächliche Weise löst. Berichten zufolge sind Afghanen und Pakistanis nur allzu glücklich, diese Charade mitzumachen und sich als Syrer auszugeben.

Doch die Migrationswelle fördert auch vielsagende nationale Unterschiede zutage: von der Vorsicht Großbritanniens und Frankreichs über Ungarns Wut, die Warnungen Polens und Dänemarks bis hin zur Begeisterung Deutschlands und Österreichs sowie dem Diktat der Europäischen Union. Einige dieser Reaktionen sind auf Erfahrungen in der jüngsten Vergangenheit zurückzuführen, oder auch auf solche, die schon weiter zurückliegen. In Großbritannien und Frankreich hat es furchtbare Ausschreitungen islamischer Gewalt vonseiten früherer Migranten gegeben, was in dem immer noch katholischen Polen beunruhigt registriert wurde. Dänemark hat gesehen, wie ein reißender Strom moslemischer Einwanderer das benachbarte Schweden und auch Norwegen völlig verändert hat. (...)

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