Warum die bisherige Debattenkultur im Umgang mit dem Islamismus überdacht werden muss  

September 9, 2016 – 6 Elul 5776
„Die friedliche Mehrheit ist irrelevant“

Von Melissa Kaiser

Es gibt eine Reihe von Standardaussagen, die im Kontext der Islamkritik immer wieder angebracht werden. Kritik an den gewaltvollen Imperativen des Korans wird nicht selten mit der Floskel abgetan, die Bibel enthielte doch auch Gewaltpassagen. Viele Personen machen es sich noch einfacher und bemühen die Aussage, das hätte überhaupt nichts mit dem Islam zu tun. Viel populärer jedoch ist der ständige Verweis auf die friedliche Mehrheit der Muslime, wenn die Gefahr des Islamismus beziehungsweise des islamistischen Terrors diskutiert wird.

Solch eine Aussage tätigte eine muslimische Jura-Studentin auf einer Tagung der „The Heritage Foundation“, einer konservativen Denkfabrik mit Sitz in Washington. Die Studentin prangerte die von ihr als Sippenhaft aufgefasste Kritik am Islam an, indem sie nachdrücklich betonte, dass die Mehrheit der Muslime friedfertig sei. Brigitte Gabriel, eine libanesisch-amerikanische Journalistin und politische Aktivistin gegen den islamischen Extremismus, griff diese Aussage souverän auf. Dabei verwies sie auf die Verbrechen des Dritten Reiches, die nicht von der Mehrheit der Deutschen begangen wurden. Dabei betonte sie aber, dass die friedliche Mehrheit keine Rolle spielte, da 60 Millionen Menschen Opfer des vom NS-Diktator losgetretenen Weltkrieges wurden. Sie zählte auch das kommunistische Russland auf, welches 20 Millionen Todesopfer hervorbrachte. Auch hier wies sie mit Nachdruck darauf hin, dass die friedliche Mehrheit angesichts solcher Opferzahlen schlicht irrelevant gewesen sei.

Unumstößlich stellte Gabriel klar, dass nicht sie und andere Kritiker Sippenhaft praktizierten. Und damit lag sie durchaus richtig. Die Praxis, sich reflexartig bei jeder Kritik in die Rolle des diskriminierten Opfers zu begeben, konnte in den letzten Jahren sehr oft in der deutschen Debattenkultur beobachtet werden. Der überhastete Vorwurf der „Islamophobie“ unterdrückt eine mehr als überfällige Diskussion über das Radikalisierungspotential in der islamischen Gemeinschaft weltweit. Die astronomisch hohen Opferzahlen radikaler Islamisten sind Grund genug, dieses Potential klar benennen zu müssen. Wer dies unterlässt, hilft weder den Muslimen in der westlichen, noch in der restlichen Welt. Und er macht sich auch oft unwissend zum Mittäter, weil er emanzipatorische Kräfte unterdrückt und diese als „rassistisch“ brandmarkt.

Wer genau ist eigentlich die vielbeschworene friedliche Mehrheit? Wenn man das friedliche Potential an der Gewaltausübung des Islamischen Staates misst, so wird man zweifelsohne feststellen können, dass die Mehrheit sehr friedlich ist. Doch ist es nicht ein wenig bescheiden, dieses Potential nur daran zu messen, ob Menschen getötet werden?

In Bezug auf den Antisemitismus fällt ein anderes Licht auf diese Friedfertigkeit. Laut des Antisemitismus-Index der Anti-Defamation League, der jährlich aktualisiert wird, erreichen islamische Länder die mit Abstand höchsten Antisemitismuswerte. Deshalb müssen Menschen, die stets auf die friedliche Mehrheit verweisen, die Frage beantworten, was sie explizit unter „friedlich“ verstehen. Können wir uns es leisten, „friedvoll“ an niedrigen Erwartungen zu messen? Eine aufgeklärte Gesellschaft sollte sich diese Fragen besser früher als später stellen. Aufklärung und die Errungenschaften der Demokratie sind keine garantierten Maßstäbe, die man bei einmaligem Erreichen für immer erworben hat. Im Gegenteil: Diese müssen tagtäglich gegen antidemokratische Kräfte verteidigt werden. Dazu zählt auch islamistisches Gedankengut, welches nicht nur in den Köpfen von IS-Kämpfern zu finden ist.

Nach den Terroranschlägen auf „Charlie Hebdo“ weigerten sich muslimische Schüler in Frankreich, an den Gedenkminuten für die Opfer teilzunehmen oder störten diese. Insgesamt zweihundert Fälle, darunter vierzig mit Polizeieinsatz sind bekannt. Ähnliche Vorfälle gab es auch an deutschen Schulen.
Terrorverherrlichung ist keine Seltenheit. In Facebook ist diese permanent anzutreffen, auch in Kommentarspalten deutschlandweit bekannter Zeitungen. Verschwörungstheoretische Gedanken mit antisemitischem und antiamerikanischem Inhalt bilden überdurchschnittlich oft die Brücke zwischen Nicht-Muslimen, Muslimen und dem Islamismus. All diese Inhalte werden oft von Menschen, die zur sogenannten „friedlichen Mehrheit“ gezählt werden, verbreitet. Zusammen mit der Appeasement-Politik gegenüber Staaten und Regimes, die nicht minder gewaltsam als der IS agieren, entsteht ein hochgefährliches Gemisch antidemokratischer Kräfte mitten unter uns. Das Ausmaß dieser Kräfte wird bisher sowohl in Deutschland als auch in anderen Staaten deutlich unterschätzt.

Auch selbsternannte „linke“ „emanzipatorische“ Kräfte verfahren in den letzten Jahren völlig regressiv, wenn es um das Thema Islamismus geht. Kritik an den bereits genannten Punkten ist ein Tabuthema. Das Phänomen der Querfront, der Verbindung zwischen regressiven linken und rechtsextremen Kräften, spielt dem Islamismus in die Hände. Auf den ersten Blick mögen diese Strömungen nicht vereinbar sein. Doch das gemeinsame Fundament ist auch hier ganz deutlich der Antisemitismus und Antiamerikanismus. Teilweise beginnen diese Strömungen miteinander zu verschmelzen, weshalb es stets komplexer wird, diesen effektiv entgegenzutreten.

Ein nicht zu verachtender Teil der friedlichen Mehrheit kann also Wegbereiter für die Arbeit, die der IS verrichtet, bezeichnet werden. Das mag hart klingen. Aber die ideologische Basis für den Islamismus wird aktiv in der westlichen Gesellschaft gepflegt, von verschiedenen politischen Kräften der rote Teppich ausgerollt.

Brigitte Gabriel benennt klar, dass wenigstens fünfzehn bis zwanzig Prozent der Muslime nach weltweiten Geheimdienstangaben als radikal einzustufen sind. Das entspricht der Zahl von mindestens 180 Millionen, die der westlichen und demokratischen Gesellschaft feindlich gegenüberstehen. Das ist keine Ansammlung aus wenigen Einzelfällen, sondern eine systematische Bedrohung für die westlichen Staaten und somit für die Demokratie.
Die größere Gefahr für die westlichen Demokratien geht derzeit noch nicht von denen aus, die im Nahen Osten auf bestialische Art und Weise Menschen töten. Es sind jene Personen, die hierzulande eine nahezu identische Ideologie pflegen, welche sie selbst nicht morden lässt, aber dafür sorgt, dass die Demokratie nach und nach zugunsten dieser Ideologie umgestaltet wird. Hofiert von einem Teil der schweigenden oder relativierenden Mehrheit, der noch immer zu glauben scheint, dass die Kreuzzüge unsere größte Bedrohung darstellen oder weltbeherrschende Zionisten.

Eine Demokratie kann solchen antidemokratischen Kräften keinen Platz einräumen, sie muss strikt intolerant sein. Natürlich sind nicht alle Muslime radikal. Das ist ein Konsens, der schon längst bei einem Großteil der politischen Diskussionen angekommen ist und nicht immer neu diskutiert werden muss. Es wird Zeit endlich einen Schritt weiterzugehen und sich zu fragen, wie lange man noch passiv oder gar aktiv daran wirken möchte, dem Islamismus die Tür aufzuhalten.

Die friedliche Mehrheit könnte sich selbst Relevanz verschaffen, indem sie sich aktiver und leidenschaftlicher in den Kampf für die Demokratie einbringt und nicht weiterhin in einer Abwehrhaltung verharrt. Wer den Koran für seine gewalttätigen Imperative kritisiert, der distanziert sich automatisch von diesen. Wer diese Kritik jedoch unterlässt oder gar unterbinden möchte, der muss sich das Misstrauen der restlichen Gesellschaft durchaus gefallen lassen.

Brigitte Gabriel hat die Hölle islamistischer Gewalt übrigens hautnah erlebt. Sie stammt aus einer arabisch-christlichen Familie und wuchs im Libanon auf. Dort wurde das Familienhaus während des libanesischen Bürgerkriegs von islamistischen Kräften zerstört. Gabriel selbst wurde von einer Granate verletzt. Damals war sie gerade einmal zehn Jahre alt.

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