Zum 15. Jahrestag des 11. Septembers  

September 9, 2016 – 6 Elul 5776
Der Tag, an dem der Dritte Weltkrieg begann

Von Attila Teri

„Angeblich ist ein Kleinflugzeug in einen der Türme des World Trade Centers geflogen!“ – lautete zunächst eine kleine Meldung, die kurz nach 15 Uhr MEZ über die Nachrichtenagenturen verbreitet wurde. Ich rannte zu meinem Redaktionsleiter, um zu fragen, ob sie ihn vielleicht interessiert. „Bleib dran“, war seine lapidare Antwort. Und ich blieb dran. Nicht nur an diesem Tag. Bis heute. Zum 15. Mal jährt nun sich das Ereignis, das unsere Welt nachhaltig für immer veränderte.

Es war der 11. September 2001. Wie sich die Geschichte entwickelte, brauche ich nicht zu erzählen. Es gibt wohl kaum jemanden auf der Welt, der nicht weiß, wo er an diesem verhängnisvollen Tag war. Ich arbeitete als Schlussredakteur bei Pro Sieben, wir waren gerade dabei die Boulevardsendung „taff“ für den Tag zusammenzubasteln. Im Gegensatz zu heute bestand die erste Viertelstunde der Sendung damals noch aus relevanten Themen und nicht nur aus seichter Unterhaltung. Während unser Planet in Schockstarre fiel, arbeiteten wir wie im Rausch Stunde um Stunde nur daran, die neuesten Horrornachrichten über den Bildschirm zu jagen. Ich weiß nicht mehr, wann ich überhaupt aus dem Schnittraum kam. Ich erinnere mich nur daran, wie ich von meinen Kollegen ständig mit neuem Material „gefüttert“ wurde. Es kam von überall. Ich glaube, das hat es vorher noch nie und nachher nie wieder gegeben, so dass es keine Rolle spielte, woher die Aufnahmen stammen, wer dafür die Rechte besaß, die normalerweise erst erworben werden müssen, bevor nur eine Sekunde ausgestrahlt wird, in der hartumkämpften Medienwelt. In diesen Stunden und Tagen rückte sogar unsere Zunft der Fernsehmacher zusammen.

Es ist schon seltsam, dass anscheinend immer erst eine Katastrophe passieren muss, damit wir uns darauf zurückbesinnen, wer wir sind und was im Leben tatsächlich eine Rolle spielt: Menschlichkeit, Mitgefühl, Solidarität.
Während die ganze Welt nur noch auf die Bildschirme starrte und hoffte, es handele sich doch nur um den Trailer zum neuesten Katastrophenfilm von Roland Emmerich, war es mir von Anfang an klar, es ist keine „Story“!

Dabei fällt mir gerade die Geschichte eines Kameramann-Kollegen ein, der damals in New York weilte. Eigentlich sollte er an dem Tag ein Interview mit Michael Jackson machen, er wartete nach einer durchzechten Nacht in seinem abgedunkelten Hotelzimmer auf den Anruf des Managers und hatte so erstmal nichts von dem ganzen Drama mitbekommen. Der Anruf kam, allerdings aus der Heimat. Er wusste tatsächlich nicht, was um ihn herum geschah. Dann umso mehr. Wer kennt nicht die Aufnahmen mit dem hastigen und verwackelten Schwenk nach oben, die am Fuße der Türme während des zweiten Einschlages gemacht wurden? Sie stammen von ihm. Wenn man dem „verehrten Publikum“ mit seinen Beiträgen gerade die Luft zum Atmen raubt, muss man einen kühlen Kopf bewahren, nichts an sich ranlassen, was auch immer geschehen möge – sagte ich mir gebetsmühlenartig. Wieder und wieder. Es ging gut – bis zum Ende der mehrstündigen Sondersendung.

Dann war es allerdings umso schlimmer. So stelle ich es mir vor, wenn ein Komapatient plötzlich aufwacht und alles auf ihn hereinbricht. Ich sehe es heute noch vor mir wie wir uns alle in der Empfangshalle von Pro Sieben versammelt haben, und der damalige Chefredakteur eine mitreißende Rede hielt. Anschließend taumelte ich heim. Am nächsten Tag ging es so weiter. Und weiter. Und weiter. Ich habe in den nächsten anderthalb Jahren fast ausschließlich über den Terror und dessen Folgen berichtet!

Bis in unsere Gegenwart hinein. Der Schock sitzt tief, sehr tief. Auch heute noch – 15 Jahre danach. Die überwiegende Mehrheit der Menschen besitzt die Gabe zu verdrängen. Es ist an sich gesund und schützt uns davor verrückt zu werden. Bei der ganzen Sache gibt es für mich jedoch ein großes Problem. Manche verwechseln Verdrängen mit Vergessen. Gepaart mit Ignoranz, Egoismus und Verantwortungslosigkeit, führt es häufig zu einer Katastrophe. Und diese Katastrophe erleben wir heute.

Ich habe zu den Geschehnissen und ihren Folgen eine klare Meinung, die niemand teilen muss. Denn sie ist überaus unbequem. Die Anschlagserie ein paar durchgeknallter Islamisten schaffte es, alles auf den Kopf zu stellen. Ob in unserem kleinen, alltäglichen Leben oder auf globaler Ebene. Seit dem verhängnisvollen Tag lassen sich unsere Politiker von Terroristen vor sich hertreiben ohne nur annähernd die adäquate Antwort zu finden. Damit mich die Pseudohumanisten ja nicht missverstehen, noch eine kleine Klarstellung: Ich bin immer noch ein Befürworter der Kriege sowohl gegen die Taliban in Afghanistan als auch gegen Massenmörder wie Saddam Hussein im Irak und Gaddafi in Libyen. Gar dann, wenn die damals vorgegaukelten Gründe gegen Saddam Hussein zum Teil erstunken und erlogen waren. Für mich reichte es, dass er ohne Zweifel Giftgas gegen sein Volk einsetzte, im Zweiten Golfkrieg Israel mit Raketen beschoss und bis zu seinem Ableben den Hinterbliebenen von „palästinensischen“ Terrorristen 50.000 Dollar überwies. Genauso unterstützte „Bruder Oberst“, wie sich Gaddafi so gerne nennen ließ, den Terror weltweit über Jahrzehnte und unterjochte sein Volk aufs Übelste.

Ich halte die Vernichtung solcher Despoten für gerecht. Das Problem ist, wenn man keinen Plan B für „die Zeit danach“ besitzt, auf halber Strecke stehen bleibt oder nicht einmal losgeht und hofft, so davonzukommen, wie man das täglich im Irak, Syrien, Afghanistan, und Libyen „bewundern“ kann, vom Nichtstun in Jemen ganz zu schweigen. Keine oder falsche Entscheidungen sind wohl auch die Hauptursachen für das Flüchtlingselend unserer Tage. Genauso wie für den wachsenden Terror der Islamisten, den Aufstieg der Rechtspopulisten in der Ersten Welt und für die zunehmende Angst der „normalen“ Bürger, die mit der Lage nicht umgehen können. Dass sie überrascht sind, ist verständlich.

Wenn jedoch Berufspolitiker wie Merkel uns einreden wollen, das Unheil nicht rechtzeitig gesehen zu haben, dann schwillt meine Halsschlagader an. Denn im Gegensatz zu uns, bekommen sie jeden Tag die frischen Gefahrenanalysen der Sicherheitsexperten und sind mehr als umfassend über alles informiert. Da ich beim besten Willen nicht davon ausgehen kann, dass sie dumm sind, frage ich mich, was sie dazu bringt mit 300 Km/h in einem Zug ohne Bremsen gegen einen Berg zu rasen und uns zu erzählen „Wir schaffen das!“.

So war es schon am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Hätte der Westen damals rechtzeitig und geschlossen eingegriffen, wäre es dem österreichischen Hobbymaler nie möglich gewesen, ganz Europa in Schutt und Asche zu legen. So ist es auch heute! Wenn wir wieder solange wegsehen bis der Wahnsinn uns mitreißt, haben wir genauso versagt wie unsere Vorfahren. Nur zusammen können wir der Barbarei Einhalt gebieten und damit auch dafür sorgen, dass die Opfer der Anschläge nicht umsonst starben! Denn am 11. September 2001 begann der Dritte Weltkrieg – ob wir es wollen oder nicht. Wie er endet, liegt an uns. Ich jedenfalls habe keine Lust auf die Meldung „Angeblich ist heute Morgen eine ‚schmutzige Bombe‘ am Berliner Alexanderplatz explodiert!“

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