Wie sich Geschichte und Wissenschaft dem Koran anpassen müssen  

Juli 8, 2016 – 2 Tammuz 5776
Der Pharao war ebenso wenig ein Moslem wie Jesus

Von Roger Letsch

Arabische Hilfsbereitschaft lernte ich im Sommer des Jahres 2000 im Ägyptischen Museum in Kairo kennen. Der Wachmann nämlich, der ganz in meiner Nähe stand, als ich infolge Salmonellenvergiftung und Dehydration auf der Treppe zum ersten Stockwerk bewusstlos zusammenbrach, behielt mich im Auge. Als ich nach einigen Minuten am Fuß der Treppe langsam wieder zu mir kam, hatte er wohl längst beschlossen, nicht mehr in meine Richtung sehen zu müssen.
Ich lebte ja offensichtlich noch und er war nur für die Bewachung der Toten zuständig: Mumien, Kanopen, überall Mumien und Kanopen.

Kurz vor meiner Auszeit auf der Treppe hatte ich mir Ramses II. angesehen, für den ich mich aufgrund seiner Omnipräsenz in den Bauten von Luxor und Karnak deutlich mehr interessierte als für den unbedeutenden Tutenchamun, bis zu dessen Ausstellung im ersten Stockwerk ich letztlich nie gekommen bin. Auf der Treppe war Schluss und ich war froh, noch genug Kraft gefunden zu haben, mich wieder aus dem Museum zu schleppen.

Das Ägyptische Museum in Kairo ist ein überfüllter Ort. Vollgestopft mit Ausstellungsstücken, viktorianischen Vitrinen und gehetzten Besuchermassen, die nur ein Ziel zu haben scheinen: Gold gucken! So war es auch nicht verwunderlich, dass es um Ramses II. kaum Andrang gab und alle Besucher nur den Weg zu „King Tuti“ suchten, wie die Ägypter den „Devisenbringer Nummer Eins“ im Museum gerne nennen. Was ich damals nicht wusste, war, dass mir da unter Ramses‘ Vitrine aus Glas und Holz ein Moslem entgegen schaute. Wobei anzumerken ist, dass Ramses selbst davon auch nichts wusste.

Etwa 1.900 Jahre nach seinem Tod wurde er zum Moslem und laut Koran kam das so: Als dem Pharao bei der Verfolgung der Israeliten das Wasser buchstäblich bis zum Halse stand, „glaubte“ er plötzlich an den einen Gott der Israeliten und flehte ihn um Rettung an. Vielleicht hat er aber einfach nur das gesagt, was auch mir gelegentlich herausrutscht, wenn ich von etwas total überrascht werde. „Oh! Mein! Gott!“. Laut Sure 10,92 währte das gläubige Leben des Pharaos aber nur noch kurz, denn im Koran ließ Gott ihn sogleich ertrinken. Nur Ramses‘ Körper, den konservierte Gott zur Abschreckung späterer Zweifler schnell noch. Ein Wunder, ist ja klar!

Nun ja, ich habe den Pharao in Kairo getroffen. Er war über 80 Jahre alt, als er starb. Er ging wohl am Stock, hatte Rheuma und Arthritis, Abszesse an den Zähnen, ein Hüftleiden, Herzprobleme und konnte seine Schultern kaum bewegen. Mit anderen Worten, er war nicht gerade in der Verfassung eines Yul Brynner, um Charlton Heston im Streitwagen bis ins Rote Meer nachzujagen. Es ist doch eher unwahrscheinlich, dass es ausgerechnet dieser Pharao war, der den Israeliten nachjagte und dabei laut Koran im Meer ertrank. Das Salz, das man in seiner Mumie fand, ist auch kein Beweis für den Wassertod, sondern logische Folge des „Pökelns“ – der Behandlung mit Natron für die Austrocknung, denn ausnahmslos alle ägyptischen Mumien wurden so behandelt. Ägyptologie, Archäologie und Medizin haben den koranischen Zusammenhang zwischen Ramses II. oder dessen Nachfolger mit dem Exodus längst widerlegt. Aber die Prediger dieses „Koran-Wunders“ befassen sich nicht mit Ägyptologie, Archäologie oder Medizin.

Archäologische „Beweise“ für Textstellen in der Thora oder der Bibel zu finden ist immer problematisch, weil es stets eine riesige Bandbreite von Interpretationen gibt. Zwar gibt es bei einigen Juden und Christen die Neigung, ihre heiligen Schriften wie Geschichtsbücher zu lesen, in letzter Konsequenz steckt aber nur der Islam in einem unlösbaren Dilemma. Der Wortlaut der Suren lässt nach Auffassung der Moslems keine Interpretation zu, es muss alles genau so passiert sein, wie es geschrieben steht. Stünde im Koran, dass vor 2.000 Jahren der Himmel eingestürzt sei, würde heute jede Glasscherbe ein Gottesbeweis sein. Da nun aber im Koran steht, der Pharao (und gemeint ist Ramses II.) sei ertrunken und wurde nicht mumifiziert, fährt man besser nicht nach Kairo und geht besser nicht ins Ägyptische Museum, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. Und es zeigt sich noch ein Dilemma. Der Koran muss auch alle Erklärungen für alle Zeit vor seiner Verschriftlichung und für alle Zeit danach liefern. Eine Aufgabe, an der er stets scheitert, wenn man den Vorhang für die Erkenntnisse der Wissenschaft, der Geschichtsforschung und der Archäologie auch nur ein wenig öffnet – was man deshalb tunlichst vermeidet.

Wenn man den Beweis einer These antreten will, aber davon ausgeht, dass die These korrekt sein muss, kann man forschen und schlussfolgern, was man will: Am Ende bleibt einem nichts Anderes übrig, als die Realität der These anzupassen. Das tötet leider jede neue Erkenntnis.

Nun könnte man sagen, dass mich das alles gar nichts angeht. Jeder kann schließlich glauben, was er will. Das stimmt natürlich, wenn es beim Glauben bleibt. Die Gefahr lauert an anderer Stelle. Die Angewohnheit vieler Moslems, „Wahrheiten“ ex cathedra einfach hinzunehmen, nicht nach Beweisen zu suchen und diese „Wahrheiten“ auch dann noch zu akzeptieren, wenn sie nicht mit den Beobachtungen übereinstimmen, sorgt dafür, dass man historische Fakten nicht suchen muss, sondern einfach mal welche erfinden kann.

Es besteht qualitativ kein Unterschied zwischen einer Lüge und dem bewussten Leugnen einer Erkenntnis. Ein Beispiel?
Liest man in Jerusalem-Reiseführern, was die Waqf in den 1920er Jahren über den Tempelberg verbreitete, findet sich dort auch eine Beschreibung der Klagemauer und deren Interpretation als Umfassungsmauer des herodischen Tempels. Legitimation und Bedeutung dieses Ortes wurden nicht angezweifelt. Heute sieht das anders aus. Heute ist an dieser Stelle von der „Al Burak-Mauer“ die Rede und bezeichnet den Ort, an dem Mohammed sein geflügeltes Reittier (im Traum) festgebunden haben soll, bevor er (im Traum) in den Himmel reiste. Und der jüdische Tempel? Den hätte es dort nie gegeben. Wie kam die Mauer denn dort hin, wer hat sie gebaut? Na, die Juden jedenfalls nicht – die bauen doch keine Mauern, damit der Prophet seine Reittiere daran anbinden kann! Allah wird schon wissen, wer die Mauer gebaut hat. Beweis erbracht, fertig! (…)

Komplett zu lesen in der Druck- oder Onlineausgabe der Zeitung. Sie können die Zeitung „Jüdische Rundschau“ hier für 39 Euro im Papierform abonnieren oder hier ein Onlinezugang zu den 12 Ausgaben für 33 Euro kaufen.


Sie können auch diesen Artikel komplett lesen, wenn Sie die aktuelle Ausgabe der "Jüdischen Rundschau" hier online mit der Lieferung direkt an Sie per Post bestellen oder jetzt online für 3 Euro statt 3,70 Euro am Kiosk kaufen.

Brief an die Redaktion schreiben

Soziale Netzwerke