Sein dunkelblaues, modisches Basecap und das locker sitzende Jackett haben eine Spur von Verwegenheit. Im Café Elfenbein in Berlins Szene-Stadtteil Prenzlauer Berg, wo das Leben fast rund um die Uhr pulsiert, sind wir auf ei- nen Espresso verabredet. Leute eilen vorbei und grüßen freundlich – auf Russisch und Eng- lisch, und manche auf Hebräisch. Es ist «High Noon», und Rabbiner Joshua Spinner antwor- tet schlagfertig und humorig aufgelegt. Wieder einmal bringt ihn nichts aus der Ruhe. Ob es spezielle Gründe für ihn, gab, im Jahr 2000 aus- gerechnet nach Deutschland zu gehen? «Ich spreche eben gut Russisch», antwortet der hochaufgewachsene Mann mit vielsagendem, leicht ironischem Blick. Wie lange er, der in Baltimore geborene Amerikaner, denn seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik plane? «Zu lange für meine Feinde und zu kurz für meine Freunde», scherzt Spinner weiter, und fügt dann doch mit weitaus ernsthafterem Ton hin- zu: «Wir haben in Zentral- und Osteuropa gro- ße Aufgaben. Wir bringen jüdische Bildung zu- rück, und wir bauen Community. Das braucht Zeit, Geduld und eine Menge Energie. Starre Zeitplanungen sind da wenig hilfreich.»
Mit «wir» meint Joshua Spinner die Ronald S. Lauder Foundation, die in 16 Ländern den Aufbau von jüdischen Kindergärten, Schulen, Jugendzentren und höheren Bildungseinrich- tungen sichert. Ronald S. Lauder, der US- amerikanische Stiftungsgründer, Kosmetik- Unternehmer und große Philanthrop erkannte noch vor dem Fall des «Eisernen Vorhanges», dass die Rettung der Gemeinden im einst kom- munistischen «Ostblock» einen neuen Zu- gang zur jüdischen Tradition erfordere – und entsprechende Strukturen. Wie das konkret zu machen sei, davon hatte Lauder Ende der 1980er Jahre wohl selbst nur vage Vorstellun- gen. Für Joshua Spinner, den Freunde nur kurz «Josh» nennen, war Europa noch ganz weit weg. Als High School-Schüler im kanadischen Hamilton war er noch am Überlegen, ob er zu- erst Geschichte oder vielleicht doch Literatur studieren wollte.
25 Jahre sehen die Dinge ganz anders aus. Nicht nur in Deutschland, sondern in der hal- ben Welt ist man verblüfft, wie im Land der Dichter und Denker, aber auch der skrupello- sen Nazimörder, jüdisches Leben «von unten her» wieder wächst. Wie neue lokale Gemein- den gegründet, Synagogen geweiht und Begeg- nungszentren eröffnet werden – gut sichtbar auch für die nichtjüdische Öffentlichkeit. Ge- rade passieren zwei junge Männer in dunklen Anzügen und mit Kippa das Café Elfenbein. Rav Spinner wechselt ein paar Worte mit ihnen, zückt kurz seinen Terminkalender und schiebt ein kurzes Telefonat ein. «Sorry, urgent case», entschuldigt er sich charmant. Mit Organisie- ren verbringt Spinner einen beträchtlichen Teil des Arbeitstages, aber auch mit Motivieren. Und damit hat er früh im Leben begonnen. «Meine Mutter erinnert sich noch heute dar- an», lacht er, «dass ich einmal mit drei Jahren auf eine Parkbank im heimatlichen Hamilton stieg und einer imaginären Menge zurief: ‚ Ich bin der Präsident der Vereinigten Staaten, und ich sage Euch: Unternehmt was!‘ Die Leute haben herzlich gelacht, die hat das amüsiert.» Als Jugendlicher war «Josh» dann viel in Be- wegung – für Schülerräte, Studentenvertre- tungen, Sprechergruppen – er wollte mitreden, mitentscheiden, ohne dabei den Chef geben zu müssen. «Menschen unterschätzen, wie viele Dinge sie selbst in die Hand nehmen können. In guten Teams entdeckt man das natürlich am einfachsten», sinniert Spinner kurz.
Vieles hat den jungen Mann in Hamilton in seiner High School-Zeit interessiert, und dass er sich am Ende für eine Rabbinerausbildung entscheiden würde, war lange Zeit nicht vor- auszusehen. Ursprünglich tendierte er zu ei- ner Historiker-Laufbahn und fokussierte sein Studium an einer der US-Elite-Universitäten der «Ivy League». Allmählich aber wurde ihm klar, dass sein Leben eine andere Richtung neh- men würde.
Ein Schlüsselerlebnis dafür, sagt er, habe es aber nicht gegeben. «Sicher, ich stamme aus einer religiösen Familie. Dort wurde die jüdische Tradition ernst genommen, und wir alle haben sie lieben gelernt. Aber es hätte gut auch passieren können, so dass ich vielleicht Historiker oder etwas Ähnliches im akademi- schen Bereich geworden wäre.» Für «Josh», den angehenden Rabbiner, ging es zunächst zu Yeshivot in Toronto und Jerusalem, und an der Columbia University in New York studierte er Geschichte und Literatur. Diesen Fächern frönt er auch heute noch gern – genauer: wenn es die knappe bemessene Zeit ihm erlaubt. «Für den Besuch von Konferenzen habe ich leider keine Zeit, aber ich versuche viel zu lesen», bekennt er. «Gerade habe ich ein tolles Buch über die intellektuelle Geschichte bei Tacitus in die Hände bekommen, und darüber, wie riskant eine romantisierende Sicht auf die historischen Germanen schon immer gewesen ist.»
Von Olaf Glöckner
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