Die Wochenabschnitte der Thora, die im November gelesen werden

Von Rabbiner Elischa Portnoy  

November 9, 2018 – 1 Kislev 5779
Tode, Geburten und glückliche Schidduchim

In den Parschijot des Novembers kommt die Erzählung der Thora über unsere Vorväter richtig in Fahrt und die Geschichten sind dort oft so spannend und „abgedreht“, dass man sich vom Lesen kaum losreißen kann.

Was bedeutet Leben?
Der 1. Wochenabschnitt im November, „Chaje Sarah“ („Das Leben von Sarah“), beginnt überraschenderweise mit dem Tod von Sarah, der geliebten Frau unseres Vorvaters Avraham!

Der Name eines Werkes soll eigentlich die Essenz dieses Werkes wiedergeben, und man hätte erwartet, dass wir in unserem Wochenabschnitt mehr über das spannende und nicht einfache Leben von Sarah Imenu erfahren. Dazu gibt es aber gerade einen Vers „Sarah ward hundertsiebenundzwanzig Jahre alt; so lange lebte sie“. Danach wird berichtet, dass Sarah starb, Avraham sie beweint hat und eine würdige Beerdigung für sie organisiert.

Deshalb fragen viele Meforschim (Kommentatoren der Thora), wie man die offensichtliche Diskrepanz in diesem Fall erklären kann? Und unsere Weisen offenbaren uns mehrere interessante Antworten: erstens kann man sagen, dass, während der Frevler schon zu seinen Lebzeiten als (spirituell) tot betrachtet werden kann, die Gerechte auch nach ihrem Tod als „lebendig“ betrachtet werden. Und das macht Sinn: die guten Taten, die die Gerechten in ihrem Leben vollbracht haben, wirken noch lange nach ihrem Ableben.

Eine andere Erklärung besagt, dass „echtes Leben“ erst in der kommenden (spirituellen) Welt möglich ist. Im Mischna-Traktat „Pirkej Avot“ ist dieses Prinzip folgendermaßen definiert: „Diese Welt gleicht einem Vorhof zur kommenden Welt. Rüste dich im Vorhof, damit du (voller Verdienste) in den Königssaal eintreten kannst“. Deshalb waren diese 127 Jahre von Sarahs Leben in dieser Welt eine perfekte Vorbereitung für ewiges Leben ihrer reinen Seele in G’ttes Welt.

Außerdem wird im weiteren Verlauf der Parascha über diese Hochzeit von Avraham und Sarahs Sohn Jizhak berichtet. Seine sehr gute Ehe mit Tzedejkes Rivka war ein großer Nachas (Freude) für seine Eltern. Und da der Sohn und seine große Zukunft eine Lebensaufgabe für Sarah waren, kann auch das erfüllte Leben von Jizhak als „Leben von Sarah“ bezeichnet werden.

Bemerkenswert ist in diesem Wochenabschnitt auch die Geschichte der Beerdigung von Sarah. Ganze 17 Verse widmet die Thora der Erzählung, wie der Witwer Avraham die Höhle Machpela von den Hethitern für eine Riesensumme erworben hat, um dort seine Sarah beizusetzen. Mit der Zeit wurden dort auch Jizhak und Rivka, Yakow und Leah beerdigt. Daher löst der Versuch der UNESCO, das „Grab der Patriarchen“ zum „islamischen Erbe“ zu erklären, überall nur Kopfschütteln aus und untergräbt die Reste von Respekt, die man noch vor dieser Organisation hatte.

Eine tüchtige Frau für Tzaddik
Ein weiteres spannendes Thema dieses Wochenabschnittes ist zweifellos der Schiddusch für Jizhak. Nach dem Tod seiner Frau entscheidet Avraham, dass es an der Zeit ist, den vierzigjährigen Jizhak zu verheiraten. Jedoch vertraut unser Urvater den Mädchen aus dem Land Kanaan, wo er zurzeit wohnt, aus guten Gründen nicht und sendet deshalb seinen vertrauten Diener Eliezer zu seiner Familie nach Aram-Naharaim, um eine passende Frau für Jizhak zu finden.

Natürlich hatte Eliezer bei dieser Mission auch himmlischen Beistand, G’tt hat ihm kräftig geholfen. Als Eliezer in dem Ort angekommen war und sich vor dem Brunnen niedergelassen hat, kam sofort ein schönes Mädchen namens Rivka zu diesem Brunnen. Sie war aber nicht nur schön, sondern auch unglaublich hilfsbereit: nachdem Eliezer sie um Wasser gefragt hat, hat Rivka nicht nur ihm zu trinken gegeben, sondern hat sich bereiterklärt allen seinen Kamelen Wasser zu geben. Da war sich Eliezer sicher, dass dieses Mädchen, die die Urenkelin von Avrahams Bruder war, die beste Frau für den gerechten Jizhak sein wird. Und tatsächlich war dieser Schidduch mehr als erfolgreich, wie die Thora selbst bezeugt: „Da führte sie Jizhak in die Hütte seiner Mutter Sarah und nahm die Rivka, und sie ward sein Weib, und er gewann sie lieb. Also ward Jizhak getröstet nach seiner Mutter Tod“.

Schwierige Zwillinge
Im Wochenabschnitt „Toldot“ („Nachkommen“) wird von der Geburt der Zwillinge Jakov und Esaw erzählt. Jizhak und Rivka konnten lange keine Kinder bekommen, haben lange gebetet und endlich, nach 20 Jahren Ehe, wurde Rivka schwanger. Jedoch hatte sie eine sehr komplizierte und ungewöhnliche Schwangerschaft, die ihr so zu schaffen machte, dass Rivka zu den größten Weisen der damaligen Zeit, Schem und Ewer, ging, um die Erklärung für ihre Probleme zu bekommen. Ihr wurde geantwortet: „Zwei Völker sind in deinem Schoß, und zwei Stämme werden sich aus deinen Eingeweiden scheiden, und ein Volk wird dem andern überlegen sein, und der Ältere wird dem Jüngeren dienen“.
Diese Prophetie wurde erfüllt: Rivka hat Jakow und Esaw geboren, Jakow wurde zum 3. Vorvater der Juden, Esaw zum Stammvater der westlichen Zivilisation, die im römischen Imperium ihren Zenit erreichte.

In dieser Parascha gibt es gleich zwei berühmte und spannende Geschichten: der Verkauf vom Erstgeborenenrecht und der Segen von Jizhak, der eigentlich für Esaw gedacht war, jedoch von Jakow empfangen wurde. In beiden Fällen sieht unserer Vorvater Jakow nicht besonders vorteilhaft aus – man hat den Eindruck, dass er in beiden Fällen geschwindelt hat. Wenn man jedoch diese Verse zusammen mit den Kommentaren unseren Weisen liest, versteht man, dass in beiden Fällen Jakow richtig und gerecht gehandelt hat.

Wenn im ersten Fall noch die Thora selbst Esaws Einstellung bezeugt „Und er aß und trank und stand auf und ging davon. Also verachtete Esau die Erstgeburt“, dann ist die Situation mit der Segensgabe viel komplizierter. Rivka, deren Vater der Bösewicht Betuel und dessen Bruder der großer Schwindler Lawan waren, konnte die Charaktereigenschaften beider Söhne besser einschätzen als Jizhak. Und sie hat verstanden, dass wenn Esaw den Segen für materiellen Reichtum vom Vater bekommt, es für seinen Bruder Jakow sehr schwer werden würde seine Aufgabe in dieser Welt zu erfüllen. Deshalb wurde dadurch, dass doch Jakow diesen Segen bekommen hat, gewährleistet, dass die Juden im Geschäftsleben Erfolg haben und das Thora-Lernen unterstützen können. So zum Beispiel wurde Rambam (Maimonides) zu einer Säule unserer Religion, weil sein Bruder, ein erfolgreicher Geschäftsmann, ihn finanziell unterstützt hat.

Jedoch blieb diese Geschichte nicht ohne Folgen für Jakow: da Esaw wütend auf ihn war und nur auf eine gute Gelegenheit wartete, um den Bruder umzubringen, musste Jakow aus der Heimat fliehen.

Jakows Himmelsleiter
Der Wochenabschnitt „Vajetze“ („Und er ging“) beginnt mit Jakows Reise von Beer Schewa nach Charan, wo sein Onkel Lawan ansässig war.
Als er unterwegs einmal übernachtet hat, hatte er den berühmten Traum von der Himmelsleiter:

„Und ihm träumte; und siehe, eine Leiter war auf die Erde gestellt, die rührte mit der Spitze an den Himmel. Und siehe, die Engel G‘ttes stiegen daran auf und nieder“.

Unsere Weisen leiten von dieser Begebenheit ein wichtiges Prinzip her, das wir verinnerlichen sollen: diese materielle Welt und die spirituelle Welt sind miteinander fest verbunden. Das bedeutet, dass jeder unserer Gedanken, jedes Wort und jede Tat in dieser Welt einen Effekt in der geistigen Welt hat. Im „Pirkej Awot“ steht (4:13) „Wer ein Gebot erfüllt, schafft sich einen Engel-Verteidiger, wer ein Verbot übertritt, schafft sich einen Engel-Ankläger“. Also alles, was wir gedacht, gesprochen und getan haben, kommt zu uns aus der spirituellen Welt zurück, wie das Gute, so auch das Schlechte. Deshalb sollte jede unsere Handlung gut überlegt werden.

Die Rivalität der Schwestern
Nach dem wunderbaren Traum kommt Jakow endlich nach Charan. Und noch bevor Jakow das Haus seines Onkels betrifft, findet er seine große Liebe. Als Jakow eine Pause beim Brunnen macht (wieder der Brunnen!) und sich mit den Hirten unterhielt, kommt gerade in dieser Minute die schöne Rachel, die Tochter von Lawan, zu diesem Brunnen!

Lawan hatte eigentlich zwei Töchter, Leah und Rachel, jedoch war die schönste von beiden die Rachel: „Und Lea hatte matte Augen, Rahel aber war schön von Gestalt und schön von Angesicht“. Es ist eigentlich verwunderlich, warum die Thora die äußere Schönheit sowohl bei Sarah (12:11), als auch später bei Rivka (24:16) und Rachel ausdrücklich erwähnt und hervorhebt. Haben unsere Vorväter diese Frauen geheiratet, nur weil sie hübsch waren? Wir wissen jedoch aus dem Kontext, dass unsere Vormütter große Gerechte waren und vor allem wegen ihrer wunderbaren Charaktereigenschaften geschätzt wurden. (…)

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