Mai 10, 2019 – 5 Iyyar 5779
„Thais kennen keinen Antisemitismus“

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Ein Besuch beim Rabbi des Chabad-Hauses von Bangkok  

Von Janina Krupop

Versteckt in der berühmt-berüchtigtsten Straße Bangkoks, der Kaohsan Road, liegt das Chabad-Haus „Ohr Menachem“. Günstige Restaurants, billige Hostels, unzählige Massagesalons, Bars und Tätowierstudios reihen sich hier aneinander, um Rucksacktouristen anzulocken. Zwischen den jungen Menschen aus aller Welt fahren hupend und kreischend Taxi- und Tuktukfahrer entlang. Das Chabad-Haus gegenüber dem Ibis-Hotel wirkt zwischen dem bunten Treiben unscheinbar. Im Gegensatz zu den übrigen Hotels und Restaurants, gelangt man hier erst hinein, nachdem der Wachmann den Pass kontrolliert und sein OK gegeben hat.

1994 eröffnete das erste Chabad-Haus in Bangkok. Weitere Häuser befinden sich in Chiang Mai, Phuket und Kho Samui. Die jüdische Gemeinde Thailands ist klein: etwa 4.000 Juden leben hier. Aber Thailand ist das beliebteste Reiseziel junger Israelis. Jedes Jahr strömen 100.000 israelische Touristen in das südostasiatische Land. Das Chabad-Haus Bangkok bietet ihnen ein Zuhause. Neben einem großen Gemeinschaftsraum und einer Synagoge gibt es ein koscheres Restaurant. Die meisten koscheren Produkte werden importiert, Hühner werden selbst geschlachtet. Jede Woche treffen sich hier hunderte israelische Rucksacktouristen. Sie tauschen ihre Erfahrungen aus und finden ein Stückchen Heimat in der Ferne. Eine von ihnen ist Tal Avidan. Die 30-jährige Israelin reist seit 10 Monaten durch die Welt. Für sie ist Thailand das beste Reiseziel Südostasiens. „Es ist ein sicheres Land und man wird als Tourist sehr zuvorkommend behandelt. Ich habe eine solche Qualität in keinem anderen Land erlebt.“ Das Chabad-Haus ermöglicht ihr Kontakt zu ihrer Heimat und Kultur zu halten. „Ich treffe hier viele jüdische Reisende, wir essen gemeinsam, feiern gemeinsam. Für uns Juden ist es sehr wichtig, im Ausland mit unseren Wurzeln verbunden zu bleiben“, so Avidan. Die meisten Touristen kommen tatsächlich wegen des koscheren Essens hierher und um die Schabbat-Abende zu feiern, aber auch um das Gespräch mit Rabbi Wilhelm zu suchen.

Rabbi Wilhelm leitet das Chabad-Haus seit zehn Jahren. Er kam selbst vor 23 Jahren mit seiner Frau erstmals nach Thailand. Mit ihr und fünf seiner zehn Kinder lebt er im Haus. Die übrigen Kinder studieren und arbeiten in Israel. Rabbi Wilhelm besucht sie drei- bis fünfmal im Jahr. Für die jüdischen Touristen ist er wie eine Art Großvater. In sämtlichem Belangen ist er Ansprechpartner Nummer 1: Aufenthaltsfragen, aber auch spirituelle und religiöse Anliegen beantwortet er. Rabbi Wilhelm ist daher stets beschäftigt. Seine Arbeit gleicht zuweilen dem eines Botschafters. Für das Verfolgen der Nachrichten bleibt dabei kaum Zeit. „Ich habe natürlich bemerkt, dass in Europa der Antisemitismus wächst und viele Juden Europa verlassen“, sagt Rabbi Wilhelm, „insbesondere aus Frankreich kommen immer mehr Juden. Ich glaube, für uns Juden ist Europa kein sicherer Platz mehr.“

Das jüdische Leben in Thailand sei hingegen sehr sicher. Übergriffe oder Ausschreitungen habe es noch nie gegeben. „Thais kennen keinen Antisemitismus“, so Rabbi Wilhelm, „Gefahren drohen hier allenfalls von Muslimen aus anderen Ländern. Thailand ist ein buddhistisches und sehr tolerantes Land. Es akzeptiert und unterstützt uns.“ Auch die diplomatischen Beziehungen zwischen Thailand und Israel sind sehr gut und von gegenseitigen Verträgen geprägt. So ermöglicht beispielsweise ein bilaterales Abkommen, dass Thais legal in Israel arbeiten.

Bis ins frühe 17. Jahrhundert lassen sich vereinzelte Spuren jüdischen Lebens in Thailand zurückverfolgen. Von dem Aufbau eines jüdischen Gemeindelebens kann jedoch erst ab den 1930er Jahren die Rede sein, als jüdische Flüchtlinge aus Deutschland, Syrien und dem Libanon nach Bangkok kamen und hier ihre Geschäfte aufbauten. Der Vietnamkrieg brachte schließlich hunderte amerikanische Juden nach Thailand, die in der US-Armee dienten. Mit ihnen wurde das jüdische Leben in Thailand vollends etabliert, erstmals mit dem Militär kamen nun auch Rabbiner. Die kleine jüdische Gemeinde Thailands wächst. Erst im März dieses Jahres eröffnete ein weiteres koscheres Café in Bangkok und eine koschere Pizzeria auf Phuket.

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