Mai 13, 2015 – 24 Iyyar 5775
„Ich will es nicht erzählen – ich muss!“

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Als Herr Schwarzbaum noch Nummer 132 624 war  

Von Simon Akstinat

In Berlin-Grunewald treffe ich einen 94-jährigen Herrn, der mir ebenso Spektakuläres wie Trauriges erzählen wird. Herr Schwarzbaum ist für sein Alter körperlich fit und völlig selbständig. Leider muss er das auch sein, denn seine Ehefrau ist vor einigen Jahren gestorben. Zum Glück ist der Witwer geistig mindestens genauso fit wie ich selbst mit meinen noch relativ jungen Jahren. Das macht das Gespräch mit ihm sehr angenehm.

Seine Geschichte erzählt er nun seit etwa zehn Jahren an Schulen und bei Vorträgen: „Nicht weil ich will, sondern weil ich muss. Es muss erzählt werden!“ Seine bewegenden Erlebnisse möchte ich für die Leser der „Jüdischen Rundschau“ noch einmal auf meine Weise dokumentieren.
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Henry Schwarzbaums Leben verlief in geraden, geordneten Bahnen. Er spielte Basketball und Tennis. Im Juli 1939 machte er sein Abitur. Vier Wochen später brach das Unheil über ihn und seine Familie hinein. Doch das Erkennen dieses Unheils kam erst scheibchenweise ins Bewusstsein der Familie.
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Schritt für Schritt nahm die Entrechtung ihren Lauf: Juden durften keine Hunde und Katzen mehr haben. Dann durften sie keine Fotoapparate mehr besitzen. Dann durften sie die Hauptstraße des Ortes nicht mehr betreten.

Diese noch relativ „harmlosen“ Verbote führten gradewegs zu Schlimmerem. Bis 1943 bleibt die Familie noch in dem schlesischen Ort, wo der junge Henry als Galvanotechniker arbeitet bzw. arbeiten muss. Er recycelt Kabel für Flugzeuge. Seine Arbeit, seine Nützlichkeit, hat ihn bisher davor bewahrt, schon früher ins KZ geschickt zu werden.
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An der Sammelstelle, wo die Juden in die Züge gezwungen werden, die sie aus der Stadt bringen, muss er erstmals Zeuge eines Mordes werden. Ein Wehrmachtssoldat wird von einem SS-Mann aufgefordert, ein etwa 16- bis 17-jähriges rothaariges Mädchen zu erschießen. Der Soldat zögert, hat Hemmungen. Da nimmt der SS-Mann Peickert (Chef der für Auschwitz zuständigen Gestapo) die Sache selbst in die Hand und erschießt die Jugendliche zwei Meter neben Henry Schwarzbaum.
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Ankunft in Auschwitz. Haare abschneiden. Entlausen. Nummer tätowieren. Der Tätowierer, selbst ein Jude, gibt Henry Schwarzbaum den Tipp, der ihn rettet: „Wenn Du länger leben willst, dann suche Dir auf jeden Fall eine Tätigkeit!“
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Dazu kam die Angst vor sehr unberechenbaren lettischen, litauischen und ukrainischen SS-Leuten, die schon mal zum Spaß durch die Zäune auf die Gefangenen schossen. Zu Ukrainern hat Herr Schwarzbaum noch heute kein gutes Verhältnis, denn sein Onkel wurde in der Ukraine von Ukrainern getötet. Man zwang ihn u.a., nur um ihn zu quälen, einen ganzen Eimer Wasser am Stück auszutrinken.

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