Juli 2, 2014 – 4 Tammuz 5774
Hildesheimers moderne Erben

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Bei der «Kahal Adass Jisroel» kommen ständig junge Familien hinzu 

Wer glaubt, jüdisches Gemeinschaftsleben sei in Berlin «von oben herab» zu «organisieren», wird in diesen Wochen eines Besseren belehrt. Denn das, was sowohl die orthodoxe Gemein- schaft wie auch die liberale Szene derzeit an der Spree und anderswo erleben, gleicht erfrischen- der Aufbruchsstimmung . Meist sind es junge, kinderreiche Familien, die sich über neu eröff- nete jüdische Kindergärten und Schulen, oder auch im Abendkurs und auf dem Spielplatz ken- nenlernen, die frappierende Gemeinsamkeiten feststellen und dann ihre eigenen Visionen von Gemeinschaft entwickeln. Sie brauchen weder Lobby noch Programmvorgaben, ihr Wachs- tum entwickelt sich quasi von selbst. Das aktuell erstaunlichste und wohl erfolgreichste Beispiel für eine solche vitale, rasch wachsende jüdische Gemeinden in der Hauptstadt ist «Kahal Adass Jisroel» («Versammlung des Volkes Israel»), ein Zusammenschluss von rund 70 jüdischen Familien mit sehr traditioneller Ausrichtung.

Die meisten von ihnen wohnen in der Nähe des «Skoblo Synagogue and Education Center» in der Brunnenstrasse in Berlin Mitte, wo auch Bildungseinrichtungen von Lauder Yeshurun ansässig sind. Hier finden sie von Mikwe, Se- minarräumen, Synagoge bis hin zum koscheren Geschäft alles vor, was sie zu einem Leben nach der Halacha und für eine authentische Gemein- schaft benötigen. Wer die «Kahal» besucht, stößt grund- sätzlich auf offene Türen und aufgeschlossene Gesichter. «Jeder ist hier willkommen, der Judentum gemäß der Tradition leben und studieren möchte.

Eröffnungsfeier der «Kahal Adass Jisroel» im Januar 2014. Rabbiner Dani Fabian und der Kinderchor.

Eröffnungsfeier der «Kahal Adass Jisroel» im Januar 2014. Rabbiner Dani Fabian und der Kinderchor.

Das betrifft Frauen, Männer und Kinder in gleicher Weise», erklärt Vorstands- mitglied Dani Fabian. Er hat noch vor Jahren am hiesigen Hildesheimer-Rabbinerseminar in der Brunnenstraße sein Studium absolviert und leitet nun eine Religionsschule (Midra- scha) für jüdische Frauen auf dem Prenzlauer Berg. Fabian, zugleich diplomierter Biologe und gern auch mal E-Gitarrist in der von Rabbiner-Studenten gegründeten Band «The Holy Smokes», steht für viele der heutigen «Kahal»-Mitglieder: Sie sind jung, hochqua- lifiziert, religiös, lebensfroh und sehr enga- giert. Viele ihrer Veranstaltungen organisie- ren die «Kahal»-Aktiven in ehrenamtlicher Eigenregie. Doch wie kamen sie überhaupt zur eigenen Vereinigung? «Wir sind ein höchst willkommenes Nebenprodukt der neu ent- standenen Bildungseinrichtungen von Lauder Yeshurun», erklärt Dani Fabian augenzwin- kernd. «Es gibt hier eine Yeshiva für die Män- ner, eine Midrascha für die Frauen, den Lauder Nitzan Kindergarten und die Lauder Beth Zion Schule. Wir kennen uns von all diesen Orten, und ein Zusammenschluss zur Gemeinde ist da nur logisch gewesen.»

Ist die «Kahal Adass Israel», wie von den Medien postuliert, tatsächlich die derzeit am Schnellsten wachsende jüdische Gemeinde in ganz Deutschland? Dani Fabian und Vorstands- mitglied Michelle Berger schauen sich irritiert bis amüsiert an, Superlative sind nicht unbedingt ihr Ding. Michelle, eine vor Jahren aus Luxem- burg zugezogene Marketingexpertin antwortet salomonisch: «Wir führen keine Statistiken da- rüber, aber tatsächlich ist die «Kahal» für viele junge jüdische Familien aus ganz Deutschland der attraktivste Platz geworden. Sie kommen aus unterschiedlichsten Städten, und damit wächst die Gemeinde. Nicht zu vergessen: Hier werden viele Kinder geboren. Wir haben Geburten fast in jedem Monat zu feiern.»

Bei den zahlreichen Veranstaltungen der «Kahal», egal ob Gottesdienste, Religions- seminare, Familienfeste, Tauschbörsen oder Ausflüge, sind die unterschiedlichsten Spra- chen zu hören, neben Hebräisch und Deutsch auch Englisch, Französisch und natürlich Rus- sisch. «Zwei Drittel unserer Mitglieder stam- men ursprünglich aus dem Gebiet der frühe- ren Sowjetunion», berichtet Michelle Berger.

«Viele haben sich längst hier eingelebt. Aber auch Amerikaner, Israelis, Südafrikaner und viele Auslands-Europäer fühlen sich hier mitt- lerweile sehr wohl.» Viele der «Kahal»-Mit- glieder stehen, wie Fabian und Berger, mitten im Berufsleben, als Ärzte, Anwälte, Unter- nehmer, Pädagogen und Angestellte. «Die Gemeinde ist für viele ein Stück zu Hause ge- worden, unabhängig von Job und Berufsleben. Und wie bei einer großen Familie wird hier sehr viel positive Energie investiert», freut sich Michelle Berger. Die Familien sehen sich oft mehrmals in der Woche, und am Schabbat sowieso. Vortragsreihen werden mit eigenen Kräften organisiert, ebenso Besuchsdienste, Bikur Cholim und häufig auch gemeinsame Schabbat-Mahlzeiten.

Von Henri ZIMMER

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