August 7, 2014 – 11 Av 5774
DIE «JÜDISCHE RUNDSCHAU» VOR 100 JAHREN

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An dieser Stelle bringen wir Auszüge aus der «Jüdischen Rundschau» von vor genau 100 Jahren und erinnern damit zugleich an eine jüdische Medienlandschaft in Deutschland, die sich Ende der 1930er Jahre unter nationalsozialistischer Repression unwiederbringlich auflöste. Die «Jüdische Rundschau», die 1902 erstmals erschien, war damals nur eine unter vielen jüdischen Zeitungen und Zeitschriften, aber sie besaß ihr unverwechselbares Profil. Sie erschien wöchentlich, bisweilen auch zweimal in der Woche, erreichte zeitweilig eine Auflage von fast 40.000 Exemplaren und spiegelte vor allem die Meinung der zionistischen Bewegung in Deutschland wieder. Maßgeblich geprägt wurde sie von dem berühmten Journalisten, Publizisten, Philosophen und Bibliothekar Heinrich Löwe, der 1933 selbst nach Tel Aviv emigrierte. 1938 wurde die «Jüdische Rundschau» von den Nationalsozialisten verboten. Wie andere Blätter auch, vermittelt die «Jüdische Rundschau» uns heute interessante Einblicke in die spezifische Situation der Juden im Deutschen Kaiserreich, während der Weimarer Republik und im NS-Staat. Wir erfahren von innerjüdischen Debatten, dem Kampf um Emanzipation im Alltag, politischen Aktivitäten, Prominenten und weniger Prominenten, von Deutschlands «Sonderweg» wie häufig auch von Entwicklungen in Palästina und in der jüdischen Diaspora.

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Aufruf in der «Jüdischen Rundschau» vom 7. August 1914. Seit wenigen Tagen ist der Erste Weltkrieg im Gange, und die jüdischen Dachverbände ermuntern die männlichen Juden im wehrfähigen Alter, freiwillig zu den Waffen zu greifen – als ausdrücklicher Dienst am Vaterland.

«Deutsche Juden!
In dieser Stunde gilt es für uns aufs Neue zu zeigen, dass wir stammesstolzen Juden zu den besten Söhnen des Vaterlandes gehören. Der Adel unserer vieltausendjährigen Geschichte verpflichtet. Wir erwarten, dass unsere Jugend freudigen Herzens freiwillig zu den Fahnen eilt.

Der Reichsverein der Deutschen Juden

Zionistische Vereinigung für Deutschland

Deutsche Juden!
Wir rufen Euch auf, im Sinne des alten jüdischen Pflichtgebots mit gan-
zem Herzen, ganzer Seele und ganzem Vermögen, Euch dem Dienste des Vaterlandes hinzugeben.»



Nachfolgend ein Auszug aus der Nachrichtenkolumne der 33. Ausgabe der «Jüdischen Rundschau» vom 14. August 1914. Mehrere Hundert Juden trafen sich damals in der Hansestadt, um über effektive Möglichkeiten zur Unterstützung des Vaterlandes zu beraten.

Kriegshilfe der jüdischen Jugendvereine in Hamburg
«Am Mittwoch abend versammelten sich in der großen Turnhalle des Eimsbütte- ler Turnverbandes an der Schlankreye die Mitglieder der hiesigen jüdischen Jugendvereine, um über ihre Teilnahme an der Hilfe für das Vaterland zu beraten. Vertreten waren die nachstehenden Vereine: Jüdischer Jugendbund Hamburg, Jüdischer Wanderbund Blau-Weiß Hamburg, Jüdischer Turnverein von 1902, Jugendgruppe des Israelitischen Humanitären Frauenvereins u.a., im ganzen etwa 300 bis 400 Personen. Den Vorsitz führte Herr Dr. Auerbach. In einer kurzen Ansprache betonte er u. a.: Die wichtigste Frage sei die Einbringung der Ernte. Kein Korn und kein Halm dürfe verloren gehen, damit Deutschland während der schweren Zeit aus eigener Kraft sich erhalten könne. Ebenso wichtig sei der Transport und die Pflege der Verwundeten. Ferner handele es sich um eine planvolle wirtschaftliche Unterstützung der zurückgebliebenen Frauen und Kinder, deren Ernährer zu den Fahnen einberufen sind. Die Pflicht eines jeden sei es, einzutreten, wo er könne, um mitzuhelfen, in dem heiligen Kampfe den Sieg herbeizuführen. Nach dieser mit begeistertem Beifall aufgenommenen Ansprache ließen sich viele Damen und Herren in die Meldebogen einzeichnen. Jeder wird von dem leitenden Komitee den seinem Können und seinen Fähigkeiten entspre- chenden Platz angewiesen erhalten. Weitere Meldungen nehmen die Vorstände der obengenannten Vereine entgegen.»



In der «Jüdischen Rund- schau» vom 24. August 1914 werden Auszüge aus verschiedenen anderen Zei- tungen vorgestellt, so aus den «Hamburger Jüdischen Nachrichten» und aus der «Frankfurter Zeitung». Die ebenfalls zitierte «Vossische Zeitung» beschäftigt sich gerade höchst kritisch mit dem Kriegs-Aufruf des rus- sischen Zaren an die dortige jüdische Bevölkerung:

«Der Selbstherrscher aller Rußen hat die Juden seines Reiches an das allerhöchste Wohlwollen erinnert, das er ihnen stets entgegengebracht habe, und hat sie vermahnt, der Dankbarkeit eingedenk zu sein, die sie dem Hause Romanow schulden. Das Wohlwollen von dem Kaiser Nikolaus spricht, dürfte wohl zum Ausdruck gekommen sein in den von der Kaiserlichen Po- lizei begünstigten oder selbst organisierten Pogromen, in Maßregeln der Knechtschaft, Unterdrückung und Ausbeutung, die immer wieder bewiesen, daß die schmachvolle Institution der Sklaverei nur auf geduldigem Papier gelöscht ist, in Wahrheit aber noch immer, und zwar in ihren grau- samsten Spielarten besteht.

Die Nachkommen des Wüstenwanderstammes sind stark und zäh von Gedächtnis. Das „Wohlwollen“ des russischen Zaren hat sich ihnen zudem mit der untilgbaren Schrift von Blut und Tränen in die Seele geschrieben, es ist also anzunehmen, daß die befremdlichen Ausdrucksformen der Allerhöchsten Gnade von den russischen Juden nicht vergessen worden sind. Die Juden werden dieses Huldbeweises eingedenk sein, wie Nikolaus II. befiehlt; nur vielleicht in anderer Art, als Nikolaus II. wünscht und hofft. Jeder, dem die „echt russischen“ Männer Vater und Mutter gemordet, Frau und Schwester entehrt, Haus und Heim verwüstet, Brot gestohlen und Trank vergiftet haben, wird heute durch kaiserliches Manifest aufgefor- dert, freiwillig die Waffen zu ergreifen für jene, die an ihm zu Räubern, Mördern und Schändern der Familienehre geworden (...) Die europäische und außereuropäische Welt um Rußland funkelt heut im Waffenglanz. Der Kronenträger von der Newa ist genötigt, an den Gehorsam und den guten Willen seiner Unterta- nen zu appellieren. Vergißt Nikolaus II., daß er – oder die schwarzen Schreckensmänner seiner und seiner Vorfahren Regierung – sich drei Feinde im eigenen Reich gezüchtet haben: den Polen, den Finnen und den Juden? ...»



In der «Jüdischen Rundschau» vom 31. August 1914 wird über Schmarja Levin berichtet, der auf seiner Tour durch Amerika für die zionistische Bewegung agitiert. Seine abenteuerliche Reise an Bord der «Kronprinzessin Cecilie» hatte damals die Leser am Atem gehalten, eine Rückkehr nach Deutsch- land erweist sich als schwierig:

Schmarja Levin in Amerika
Das Mitglied des Engeren Actions-Comités, Herr Dr. Schmarja Levin, befindet sich bekanntlich seit Monaten in Amerika, wo er eine rege Propagandatätigkeit für unsere Bewegung und insbesondere für das hebräische Schulwerk in Palästina entfaltet. Herr Dr. Levin hatte die Absicht, seine Tournee Ende Juli zu beenden und nach Europa zurückzukehren. Er hatte sich auch bereits auf dem Dampfer «Kronprinzessin Cecilie» des Norddeutschen Lloyd

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