Januar 4, 2016 – 23 Tevet 5776
„Der Viehhandel war und ist Vertrauenssache“

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Stefanie Fischers Studie über Landjuden in Mittelfranken 1919-1939  

Von Theodor Joseph

Dass die Geschichtsschreibung das Thema „Landjudentum“ lange Zeit stiefmütterlich vernachlässigt hat, ist wohl darauf zurückzuführen, dass dieser soziologisch fassbaren Gruppe keine besondere historisch Bedeutung beigemessen wurde – es erschien den Stadtbewohnern als überkommene Lebensform, die auch mit Unangepasstheit an die christliche Umgebungsgesellschaft gleichgesetzt wurde. Dabei nahmen jüdische Viehhändler, auch „Schmuser“ (von hebr. Schmuoth = Gerücht; vermitteln) genannt, über Jahrhunderte als klassische Mittelsmänner zwischen Stadt und Land eine zentrale Position in der deutschen Agrargeschichte ein, prägten insbesondere in den südwestdeutschen Landschaften Leben und Wirtschaften der Klein- und Mittelbauern lange bevor die Motorisierung in der Landwirtschaft Einzug hielt.

Aus kulturhistorischer Sicht ist zudem bedeutsam, dass die jüdischen Viehhändler zumeist religiös waren und somit gleichsam Träger der alten Strukturen und der Moderne waren. Von der Autorin Stefanie Fischer erfährt man, dass das Beibehalten einer jüdisch-orthodoxen Lebensweise keineswegs in Widerspruch zur Herausbildung einer modernen, mittelständischen Unternehmerkultur stehen musste. Dies ist umso bemerkenswerter, als diese Gruppe trotz massiver antijüdischer Vorurteile als ehrbare Kaufleute das Vertrauen ihrer Kunden gewinnen konnte. Dieses Vertrauen hatte sich traditionell im Miteinanderhandeln aufgebaut und als Schubkraft beim Aufbau von ökonomischem Vertrauen erwiesen.

Stefanie Fischer zeigt in ihrer sozialgeschichtlichen Untersuchung auf, wie sich Leben und Tätigkeit der Landjuden in Mittelfranken vom Beginn der Weimarer Jahre bis in die ersten sechs Jahre nationalsozialistischer Herrschaft grundlegend und radikal veränderten. Es mag verwundern, dass sich bislang kein Historiker daran versucht hat, das fränkische, insbesondere ländliche Judentum als sozial- und kulturhistorisches Thema einer Studie zu wählen, das sich als „geschlossener“ Untersuchungsgegenstand geradezu aufdrängt. Von sozialgeschichtlicher Relevanz ist auch die Frage nach der Integration der Landjuden in das alltägliche und gesellschaftliche Leben im ländlichen Umfeld Mittelfrankens. Fischer beschreibt die Begegnungen jüdischer und christlicher Einwohner, wie sich deren Kontakte gestalteten und jäh zerstört wurden. Neben Nachbarschaftsfragen, Wirtshäusern und Schulen wird in diesem Zusammenhang auch der Handel als ein Ort der jüdisch-christlichen Begegnung aufgefasst und untersucht. Zwar blieb den jüdischen Viehhändlern auf der sozialen Ebene aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer anderen Religion und zu einer nichtbäuerlichen Berufsgruppe der Zugang zu allen Teilen der Dorfgemeinschaft verschlossen, doch stand dies einer Vertrauensbildung im Bereich des Wirtschaftens nicht im Wege.

Die Rolle der jüdischen Viehhändler besaß für die ländliche Ökonomie eine wichtige Bedeutung, da sie auch weniger wohlhabenden Bauern Viehbesitz ermöglichten und diese mit Kleinkrediten versorgten. Land- und Viehjuden hatten eine Funktion, daran änderten die neuen Machtverhältnisse zunächst nichts: „Die Juden brauchen wir, weil ich noch heute mein Vieh ohne Juden nicht an den Mann bringen kann. Die christlichen Viehhändler wollen nämlich das Vieh stets unter dem Preis kaufen, was bei den Juden nicht der Fall ist“. So hieß es noch in einem Polizeibericht in Heidenheim im Jahre 1934. Aus dieser Aussage hört man nachgerade das verankerte Vertrauen heraus, das den jüdischen Viehhändlern immer noch entgegengebracht wurde. Wie dieses Vertrauen aufgebaut wurde, wie es zerstört werden konnte und wie lange es unter den wechselnden politischen Rahmenbedingungen standhielt, zeigt Fischer mit großem Einfühlungsvermögen auf.

Geschäftsabschlüsse wurden in der jüdischen Händlersprache, dem „Juschpesbajes“, was beide Seiten verstanden, getätigt. Wenn über ein halbblindes Pferd gefeilscht wurde, dann sprach man so: „Dei Suß reunt uf an Aag nix“. Das klingt poetisch, wenn auch „kauderwelsch“ – für die Vertragspartner jedoch verständlich. (...)

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