Juli 2, 2014 – 4 Tammuz 5774
Der Mythos von der «zivilen V2»

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Wernher von Braun fliegt immer noch hoch in Vorpommern und bei der Deutschen Luft- und Raumfahrtgesellschaft 

  • Juli 2, 2014 – 4 Tammuz 5774
  • Meinung, Thema
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Während Historiker sich einig sind, dass der ehemalige SS-Sturmbannführer Wernher von Braun als leitender Tüftler der Langstre- ckenrakete «V2» der Nazis persönlich Ver- antwortung für den Einsatz von Zwangsar- beitern zu tragen hatte, wird er noch immer in Ehren gehalten und als Raumfahrpionier ge- feiert. Die Rüstungs- und Raumfahrtindust- rie vergibt Wernher-von-Braun-Preise, Bun- despolitiker wie Alexander Dobrindt (CSU) unterstützen entsprechende Konferenzen und Landespolitiker wie Mathias Brotkorb (SPD, Schwerin) verschließen beide Augen wenn im landeseigenen «Historisch-Tech- nischen Museum Peenemünde» mit Hilfe revisonistischer Vereine Propaganda für ehe- malige Nazi-Ingenieure und ihre technischen Leistungen betrieben wird. Es gibt allerdings auch einen positiven Trend: Wernher-von- Braun Schulen und Straßen werden endlich umbenannt, zuletzt in Hessen und Bayern.

Die Bewertung der Mittäterschaft im Natio- nalsozialismus bleibt bis heute in Deutschland gesellschaftlich umstritten. Auf der einen Seite erleichtert das Sterben der Täter deren Nach- kommen einen kritischen Umgang, denn es wird unpersönlicher: Der eigene Opa muss nicht mehr zu seiner Rolle befragt und möglicherwei- se verurteilt werden. Auf der anderen Seite feh- len mehr und mehr die Stimmen der Zeitzeugen, die zu Opfern des nationalsozialistischen Ter- rors wurden. Vielen fällt es noch immer schwer, den Nationalsozialismus in seiner Gesamtheit als totalitäres, verbrecherisches System zu erken- nen. Deutlich wird dies an der Diskussion um Wernher von Braun und anderen Ingenieure, die an der Entwicklung von Waffen für die National- sozialisten beteiligt waren.

Von Braun wurde 1936 unter dem späteren Kommandanten der Heeresversuchsanstalt Pe- enemünde, Walter Dornberger, dessen techni- scher Leiter. Bis Kriegsende baute er an einem der vielen militärischen Großprojekte der Nazis, die sich durch Größenwahn, Irrsinn und vor al- lem durch ihre desaströsen Auswirkungen aus- zeichneten. Etwa 60.000 Menschen arbeiteten an Raketen, die sich aufgrund ihrer Zielunge- nauigkeit nicht für den Beschuss von militäri- schen Zielen eigneten, sondern von Anfang an als Terrorwaffen gegen die Zivilbevölkerung in Großstädten konzipiert waren. Desaströs wa- ren die Waffen aber schon in der Produktion, weil von den 60.000 Arbeitern die allermeisten Zwangsarbeiter und KZ Häftlinge waren, von denen etwa 20.000 aufgrund der furchtbaren Arbeitsbedingungen starben beziehungsweise ermordet wurden. Hinzu kamen durch den Ein- satz der Raketen etwa 8.000 tote Zivilisten in London und Antwerpen. Möglichst viele Zivi- listen sollten noch in den letzten beiden Kriegs- jahren zur «Vergeltung» getötet werden. Auch hier wird der NS-Wahn deutlich. Bis heute ist die Rakete als «V2» – V für Vergeltung – bekannt. Unübersehbar ist, in welcher Ideologie die Waf- fenproduktion stand. Die Ingenieure arbeiteten in Peenemünde und im Harz fieberhaft für den «Endsieg» – bis kurz vor Kriegsende. Die letzte V2 fiel am 27. März 1945 auf London.

Wernher von Braun war nicht nur in leitender FunktionandiesenVerbrechenbeteiligt,ihm konnteauchnachgewiesenwerden,dasserper- sönlichfürdenEinsatzvonZwangsarbeitern verantwortlich war, einzelne Zwangsarbeiter aussuchte und dass er die höllischen Arbeits- verhältnisse in der Massenproduktion billigte, welche ab Ende 1943 aufgrund der Angriffe der Alliierten in unterirdischen Stollen im Harz stattfand. Wahrlich, so sollte man meinen, kann man an dieser Geschichte Peenemündes nichts Positives finden. Es kam jedoch anders. Nach dem Krieg konnten von Braun und an- dere ihre Karrieren als Experten für Langstre- ckenraketen fortsetzen. Von Braun avancierte später sogar zum Fachmann und Lobbyisten der Weltraumforschung und leitete erfolgreich das Saturn V Programm der NASA, der Träger- rakete für die Apollo.

Dass sich von Braun, Dornberger, und andere nicht als Kriesgverbrecher zu verantworten hat- ten, hatte drei Gründe. Erstens verstanden sie es, ihr Fachwissen für die Entwicklung von Lang- streckenraketen im beginnenden kalten Krieg zu verkaufen. Zweitens verschwiegen sie ihre Verantwortung für den Einsatz von Zwangs- arbeitern. Dornberger leugnete sogar, dass es in Peenemünde jemals KZ-Häftlinge gegeben hatte. Drittens strickten sie an der Legende, in Peenemünde habe man eigentlich Forschung für die Weltraumfahrt betrieben und die Massen- produktion der V2 im Harz sei organisatorisch völlig unabhängig gewesen.

Am bekanntesten sind Dornbergers in zahl- reichen Auflagen veröffentlichte Memoiren «V 2 – Der Schuss ins Weltall». «Eine Mischung aus Fiktion und Realität,» wie Rainer Eisfeld schreibt,* der sich seit Jahren kritisch mit der Ge- schichte Peenemündes befasst. Er betont, dass die Ingenieure bereits seit ihrer Internierung und Befragung durch die Amerikaner 1945 an dieser Legendenbildung arbeiteten. Auch wenn die Nazis in Peenemünde selbstverständlich keine Reichsmark für die Weltraumforschung ausgaben, so berufen sich Anhänger dieser My- then darauf, dass einige Ingenieure vor und nach ihrer Zeit in Peenemünde an der Entwicklung von zivil nutzbaren Raketen beteiligt waren und dassdieV2tatsächlicheinebeträchtlicheHöhe erreichte. In einem Teststart am 3.Oktober 1943 schoss die Rakete etwa 85 Kilometern hoch,fast bis zum Weltall (100 km).

Von Katharina SCHMIDT

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