Dezember 13, 2016 – 13 Kislev 5777
Das lehrhafte Chanukka-Fest

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Bei Festen ist es immer ratsam zu fragen, warum wir sie feiern  

Von Rabbiner Elischa Portnoy

Wenn wir an das Chanukka-Fest denken, dann ist das Bild oft recht einfach: antike Griechen haben die Juden unterdrückt, Juden haben einen Aufstand gemacht, die Griechen besiegt und G‘tt hat für die heldenhaften Juden mit Öl ein Wunder gemacht. Deshalb feiern wir jetzt das schöne Lichter-Fest.

Wenn man jedoch die ganze Geschichte (die Gründe für die Unterdrückung und den Auslöser für den Aufstand) sorgfältig analysiert, kommen erstaunliche Erkenntnisse heraus, die uns ganz anders auf das Chanukka-Fest blicken lassen.

Fragen über Fragen
Die antiken Griechen waren bekanntlich Götzendiener und hatten viele Götter im Pantheon. Stellt sich die Frage, warum sie der jüdische G‘tt so störte, dass sie gegen die jüdische Religion vorgehen mussten? Ein Gott mehr, einer weniger – warum sollte das ein Problem sein? Umso weniger, da Alexander der Große, der Gründer des antiken griechischen Imperiums, laut unseren Weisen ein großer Bewunderer des Judentum gewesen ist.
Außerdem waren die Hellenisten nicht dafür bekannt die eigene Religion gewaltsam durchzusetzen. Ganz im Gegenteil: Sie gestatteten ihren Untertanen die Verehrung einheimischer Götter und die griechisch-makedonischen Vorstellungen von der Götterwelt trafen auf lokale orientalische Kulte, woraus sich jeweils spezifische wechselseitige Beeinflussungen ergaben.
Deshalb macht es wenig Sinn, dass die Besatzer nur in Israel antireligiöse Gesetze machten.

Fragen zum Aufstand
Auch wenn man sich mit dem Aufstand der Makkabäer gegen die Griechen auseinandersetzt, stellen sich einem mehrere starke Fragen.
Erstens bestand die Unterdrückung nicht nur auf der religiöser Ebene. Es gab zusätzlich sowohl eine soziale als auch eine wirtschaftliche Unterdrückung. Rambam in seinem halachischen Werk „Mischne Tora“ formuliert es am Anfang von Hilchot Chanukka (Chanukka-Gesetze) folgendermaßen: „Als während des zweiten Tempels das griechische Reich die Macht (über Israel) hatte, verhängte es Verbote über Israel, störte die Gesetzesausübung, und erlaubte ihnen nicht, sich mit Thora und Mitzwot zu beschäftigen. Sie streckten ihre Hände nach ihrem Vermögen und nach ihren Töchtern aus...Israel war durch sie in großer Bedrängnis, sie unterdrückten sie mit furchtbarem Druck...“.

Jedoch begann der Aufstand wegen des religiösen Konflikts: nachdem ein jüdischer Priester (Kohen) namens Matisyahu, aus dem adligen Geschlecht der Hasmonäer, in seiner Heimatstadt Modi’in als Opfer für Antiochos gefordert worden war, tötete er den seleukidischen Boten und einen Juden, der das Opfer vollziehen wollte, und zog sich mit seinen Söhnen und einigen Getreuen in die Wüste zurück. Damit begann der Krieg gegen das Imperium, der fast hundert Jahre dauerte und mit einem wunderbaren Sieg endete.

Aus Sicht unserer Weisen
Jetzt müssen wir noch genau hinschauen, wie unsere Weisen diesen Krieg bewerten.
Auch wenn der militärische Sieg ein echtes Wunder war, schenken unsere Weisen diesem Wunder erstaunlicherweise ganz wenig Aufmerksamkeit!
Es gibt im Talmud ein ganzes Traktat, das dem Purim-Fest gewidmet ist (Traktat Megila), über Chanukka jedoch gibt es nur eine einzige Stelle im Traktat Schabbat. Die Bücher von den Makkabäern, in denen die Geschichte vom Aufstand und dem wunderbaren Sieg festgehalten wurde, wurden in den Tanach nicht aufgenommen und sind nur für die Forscher der jüdischen Geschichte interessant.

War das Wunder mit dem Öl tatsächlich nötig?
Das Wunder mit dem Öl steht dagegen ganz im Zentrum der Chanukka-Feier.
Unsere Weisen haben das Gebot vom Lichter-Anzünden am Chanukka sehr ernst genommen. Es gibt zahlreiche Halachot (Gesetze), die das Chanukkia-Entzünden betreffen: die Zeit des Entzündens, der Platz zum Aufstellen der Chanukkia, die Dauer des Brennens der Kerzen, welche Öle und Kerzen verwendet werden dürfen usw. Sogar ein Armer soll alles dafür tun, die Chanukkia zu entzünden, im Notfall sogar dafür die eigene Kleidung verkaufen!

Aber wenn man genauer hinschaut, stellt man mit Erstaunen fest, dass dieses Wunder eigentlich nicht nötig war: der Halacha nach hätten die Makkabäer in der damaligen Situation (wenn Kohanim sowieso rituell unrein waren) die Menora auch mit dem unreinen Öl entzünden dürfen!
Warum aber hat G‘tt das Wunder doch geschehen lassen? Und warum ist dieses Wunder für unsere Weisen viel wichtiger als das Wunder des militärischen Sieges?

Im Gebet wird der Sieg erwähnt
Eine der Erklärungen, warum unsere Weisen dem Sieg die Bedeutung absprechen wollten, ist, dass man ihn nicht eigener Stärke und Klugheit zuschreibt. Und gerade bei einem militärischen Sieg ist es leicht zu sagen: richtige Strategie, Mut, gute Ortskenntnisse – da bleibt für G‘tt kein Platz mehr.
Außerdem hat der Sieg im Krieg dazu geführt, dass die Makkabäer, die eigentlich Priester waren, nach dem Sieg den König aus ihren Reihen gestellt haben. Und das war absolut falsch, denn nur die Nachkommen von König David haben das Recht König zu werden. Für dieses Vergehen wurden die Makkabäer von unseren Weisen stark kritisiert.

Erstaunlicherweise wird der Sieg von unseren Weisen aber doch beachtet! Im täglichen Gebet „Amida“ werden an den Feier- und Fastentagen spezielle Einfügungen gesagt. Und die Einfügung am Chanukka, die „al haNissim“ (für die Wunder) heißt, besteht hauptsächlich aus der Dankbarkeit für den militärischen Sieg: „Für die Wunder, die Befreiung, die Ruhmestaten, die Siege und die Kämpfe, die unsere Väter vollbracht in jenen Tagen zu dieser Zeit... Gab Stärke in die Hand von Schwachen, Viele in die Hand von Wenigen, Unreine in die Hand Reiner, Frevler in die Hand Gerechter, Trotzige in die Hand derer, die sich mit deiner Lehre beschäftigen...“.

Nicht zögern, wenn es um G‘tt geht
Und genau hier, in diesem Gebet finden wir die Antworten auf unsere Fragen: Unreine, Frevler, Trotzige sind nicht die damaligen Griechen, sondern die Juden, die von der hellenistischen Kultur verblendet waren.
Genau diese Juden, die „Mitjawnim“ (hellenisiert) genannt wurden, die eigentlich die Elite des Volkes darstellten, haben darauf gedrängt, den Hellenismus in Israel durchzusetzen. Sie haben das traditionelle Judentum gehasst, denn die hohen moralischen Standards der jüdischen Religion störten sie nur dabei die hellenistische Kultur zu genießen und ihre wenig moralischen Sitten zu praktizieren.

Als die Makkabäer, die die Mehrheit des Volkes repräsentierten, die G‘tt und den Geboten der Thora treu geblieben sind, den Aufstand begonnen haben, konnten sie auf keinen Fall von einem Sieg ausgehen. Es waren nur ganz wenige Priester gegen die starke und erfahrene griechische Armee, und die Chancen, diese Armee zu besiegen, waren fast null.

Wenn es jedoch darum ging für G‘tt zu kämpfen, haben diese Kohanim keine Überlegungen angestellt, ob es sich lohnt oder nicht, sondern sind einfach in den Kampf gezogen.
Und genau aus dem gleichen Grund wurden die Juden mit dem Öl-Wunder belohnt: auch hier hätte man argumentieren können, dass das rituell reine Öl nicht nötig sei, und man ja auch mit dem unreinen Öl entzünden darf. Jedoch wollten enthusiastische Priester das Gebot der Menora auf die beste Weise erfüllen, sie haben sich Mühe gegeben und ein Fass mit dem nötigen Öl gefunden und es trotz aller Bedenken, dass es nicht lange reicht, entzündet.

Und G‘tt hat mit dem Wunder ein Zeichen gegeben, dass Er diese bedingungslose Treue schätzt und auch in dieser schweren Zeit mit dem jüdischen Volk ist.

Was wir daraus lernen sollen
Und das ist eine wichtige Lehre, die wir aus den Ereignissen der Chanukka-Zeit ziehen sollen: wir sind „Das Volk des Buches“ und sollen auf jeden Fall versuchen den Sinn der Gebote nachzuvollziehen.
Wenn es jedoch um die Ausführung von Mitzwot geht, dann muss nicht lange überlegt und nach richtigen Strategien gesucht werden, sondern einfach mal das ausgeführt werden, was von einem gerade erwartet wird.
Man kann lange überlegen, wie wichtig das Gebot vom Tfillin-Legen ist und welche tiefen Geheimnisse es beinhaltet, aber wenn man schlussendlich den Tfillin nicht angelegt hat, sind alle gute Überlegungen nutzlos.

Und wenn wir die Gebote mit Freude und Enthusiasmus erfüllen, könnten auch wir mit guten Zeichen von G‘tt belohnt werden.

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